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Der erste Verdacht

Der erste Verdacht

Titel: Der erste Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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das?«
    »Irgendwann zwischen acht und halb neun.«
    »Wie können Sie sich bei der Zeit so sicher sein?«
    Annika deutete auf die gegenüberliegende Wand. Irene drehte sich um und sah eine große Küchenuhr aus Kiefernholz.
    »Billy hat die beim Werken gemacht. Mit Batterie«, verkündete Annika stolz.
    »Erzählen Sie mir, was an jenem Abend geschah. Sie hörten also das Boot vorbeifahren, und …«
    Irene nickte der Frau auf der gegenüberliegenden Seite des Küchentischs aufmunternd zu.
    »Er drosselte den Motor und ließ das Boot an den Steg gleiten, was nicht weiter merkwürdig war. Aber dann geschah etwas Komisches: Er ließ den Motor wieder an und verschwand mit rasendem Tempo aufs Meer.«
    »Wie viel Zeit verging zwischen dem Ausschalten und dem erneuten Anlassen des Motors?«
    »Höchstens eine Viertelstunde. Vielleicht auch nur zehn Minuten.«
    »Sie haben also gehört, wie er den Motor des Bootes wieder anließ, konnten es aber nicht sehen?«
    »Nein. Ihre Landungsbrücke liegt jenseits der Landzunge. Aber dann sah ich das Boot, als es wieder ein Stück weiter draußen auf See war.«
    »Was taten Sie da?«
    »Ging hoch zum Fernglas.«
    »Sie sind also hochgegangen und haben Ihr Fernglas geholt?«
    »Nein. Hören Sie mir doch zu! Ich ging hoch zum Fernglas. Fertig.«
    Irene war sich nicht sicher, wie sie weiterfragen sollte. Annika hatte aggressiv geklungen, und sie war ausreichend betrunken, um richtig in Rage zu geraten. Dann wäre aus ihr kein vernünftiges Wort mehr herauszubringen.
    »Handelt es sich um ein besonderes Fernglas?«, fragte Irene vorsichtig.
    »Ob es sich um ein besonderes handelt? Darauf können Sie Gift nehmen!«
    Das krächzende Lachen schlug Irene wieder über dem Tisch entgegen, gemischt mit dem sauren Geruch von Rotwein.
    »Wie konnten Sie mit dem Fernglas überhaupt etwas erkennen? Schließlich war es schon recht dunkel.«, fuhr Irene fort.
    Annika Hermansson erhob sich auf ihren dünnen Beinen.
    »Kommen Sie«, sagte sie.
    Unsicheren Schrittes ging sie durch die Küche. Dann bahnte sie sich unbeholfen ihren Weg durch die voll gestellte Diele auf die Treppe ins Obergeschoss zu. Mit festem Griff packte sie das wacklige Geländer und quälte sich dann die knarrende Treppe hoch.
    Sie gelangten in einen großen Raum mit einem Balkon zum Meer. Vor dem Balkonfenster stand ein großes Fernrohr.
    »Ein Swarovski mit Flussspatlinse«, erläuterte Annika stolz. Irene kannte sich mit Fernrohren nicht aus. Ihr war jedoch klar, dass es sich um ein besseres Modell handeln musste. Das Okular saß in einem 45-Grad-Winkel auf dem Fernrohr. Annika Hermansson nahm die Verschlusskappe ab und richtete das Fernrohr auf ein kleines Motorboot, das auf dem Wasser tuckerte. Die beiden Passagiere waren mit bloßem Auge nur als ein blauer und ein roter Punkt zu erkennen. Als Irene in das Fernrohr schaute, traf sie fast der Schlag. Die beiden standen hautnah vor ihr.
    Der Mann im Boot trug Schnurrbart und Brille. Die Frau mit der roten Jacke trug eine rote Baskenmütze, unter der ein paar graue Locken im Wind flatterten. Das Paar schien um die Siebzig zu sein. Irene sah sie miteinander sprechen. Die Frau reichte dem Mann eine Thermoskanne aus Stahl.
    Als Irene aufschaute, sah sie wieder nur ein kleines Boot mit zwei kaum sichtbaren Farbklecksen an Bord.
    »Mein Gott! Ein so starkes Fernrohr!«, rief Irene.
    »Nicht wahr? Die Lichtstärke beträgt sechzehn Komma null, die Vergrößerung ist zwanzigfach«, gluckste Annika zufrieden.
    Das bedeutete, dass man das Fernrohr noch bei geringstem Dämmerlicht benutzen konnte. Am Meer hielt sich die Dämmerung länger als an Land.
    Irene trat zur Seite.
    »Könnten Sie das Fernrohr auf Branteskär richten?«, fragte sie.
    Annika beugte sich vor und bewegte ihr Fernrohr. Nach einer Weile hatte sie es geschafft.
    »Hier. Ich habe es auf Nisses Seezeichen eingestellt.«
    »Danke.«
    Irene erblickte eine kleine Insel mit einem Ufer, das steil zum Meer abfiel. Am äußersten Rand war die Spitze einer Bake zu erkennen, die aus aufgeschichteten Steinen bestand.
    »Liegt das Seezeichen von uns aus gesehen hinten auf der Insel?«, fragte Irene.
    »Ja.«
    »Wieso heißt es Nisses Seezeichen?«
    »Weil Nisse es aufgeschichtet hat. Mehrfach wäre er fast auf den Untiefen zwischen Branteskär und Ärskär aufgelaufen. Also errichtete er das Seezeichen, damit es leichter fällt, auf Abstand zu bleiben. Jetzt hat es jemand versetzt. Das habe ich mehrmals gemeldet. Aber wen kümmert

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