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Der erste Verdacht

Der erste Verdacht

Titel: Der erste Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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großen Schluck trank.
    »Wollen Sie auch?«, fragte sie und zeigte großzügig auf den Weinkarton auf der Küchenzeile.
    »Nein, danke. Ich bin im Dienst«, sagte Irene und zwang sich zu einem freundlichen Lächeln.
    Nichts an Annika Hermansson lud zu größerer Herzlichkeit ein. Ihr Haar war schwarz gefärbt, an den Wurzeln jedoch schon wieder mehrere Zentimeter grau. Ihr Gesicht war verquollen und teigig, die Spuren langjährigen Alkoholmissbrauchs. Ihr Oberkörper, der in einem schmutzigen T-Shirt steckte, war korpulent, Arme und Beine jedoch fast anorektisch dünn. Irene fühlte sich an eine Spinne erinnert. Annika Hermanssons Alter ließ sich schwer schätzen, vermutlich war sie etwas über fünfzig.
    »Okay. Auch gut. Im Karton ist sowieso nicht mehr viel drin. Billy bringt nachher die neuen«, murmelte Annika.
    »Wer ist Billy?«, fragte Irene, um mit der betrunkenen Frau ein Gespräch anzuknüpfen.
    »Mein Sohn.«
    Irene hob alte Zeitungen und anderen Müll von einem Hocker und setzte sich. Die Katze fauchte sie an und sprang auf den Boden. Offensichtlich fühlte sie sich von Irene eines behaglichen Stündchens beraubt.
    Mühsam erhob sich die Spinnenfrau von der Bank am Küchentisch und ging mit unsicheren Schritten auf den Weinkarton zu, um nachzufüllen. Als sie zu ihrem Platz zurückschlurfte, verschüttete sie einiges, wischte es aber nicht auf. Schwer atmend und stöhnend machte sie es sich wieder auf der Bank bequem. Irene bat sie zu erzählen, was sich an jenem Septemberabend vor drei Jahren zugetragen hatte.
    »Ich hörte das rasende Ungetüm näher kommen, was mir seltsam erschienen ist. So spät am Abend und dann um diese Jahreszeit. Nach dem 1. September kommen die Bonettis nie hier raus. Das Boot gehörte dem Jungen. Den Burschen habe ich nie gemocht. Ein Angeber, der eine Menge Lügen verbreitet. Ist fünf Jahre älter als Billy und kam immer her, um nach Billy zu fragen. Sonst wollte niemand mit ihm spielen. Billy wollte es auch nicht.«
    Sie verstummte und trank eine beträchtliche Menge Rotwein. Damit sie nicht den Faden verlor, lotste sie Irene vorsichtig weiter: »Er war also bei seinen Freunden nicht so beliebt?«
    »Freunde? Haha! Der hatte keine!«
    Annika lachte roh. Um ihre Zähne hätte sich dringend ein Zahnarzt kümmern müssen, falls sie überhaupt noch zu retten waren. Irene fühlte sich an einen abgebrannten Stall erinnert, als sie die schwarzen Zahnstümpfe sah.
    »Wie lange besitzen die Bonettis das Sommerhaus schon?«, fragte Irene.
    »Schon lange. Da war Thomas noch gar nicht auf der Welt. Seine Schwester war ein Baby, als sie hier raus zogen. Ich wollte auf sie aufpassen. Durfte ich nicht. Ich war zwar erst acht, aber hatte Erfahrung mit Kleinkindern. Ich hatte zwei jüngere Brüder.«
    Für Irene kam das wie eine kalte Dusche. Thomas Bonettis Schwester war fünfunddreißig Jahre alt. Wenn Annika Hermansson acht Jahre älter war, hieß das, dass sie nur ein paar Jahre älter war als sie selbst. Billy musste neunundzwanzig sein. Dann hatte Annika ihren Sohn also ungefähr mit sechzehn bekommen.
    »Haben Sie außer Billy noch weitere Kinder?«
    »Nein. Nur Billy. Das reicht!«
    Wieder stieß sie ein heiseres Lachen aus. Sie wühlte in dem Durcheinander auf dem Tisch. Ein triumphierender Ruf signalisierte, dass sie eine zerdrückte Schachtel Zigaretten gefunden hatte. Mit zitternden Händen fischte sie einen platten, aber noch ziemlich langen Stummel heraus. Sie seufzte zufrieden, als sie ihn sich zwischen ihre rissigen Lippen schob. Sie sah Irene mit ihren rot unterlaufenen Augen an und fragte:
    »Feuer?«
    Irene schüttelte den Kopf. Nach einem erneuten Herumwühlen auf dem Tisch fand Annika endlich eine Schachtel Streichhölzer. Nach mehreren Versuchen gelang es ihr endlich, die Kippe anzuzünden. Sie inhalierte tief und ließ den Rauch dann genüsslich durch die Nase entweichen.
    »Ich habe nie jemandem erzählt, wer Billys Vater ist. Das darf niemand erfahren. Aber bezahlt hat er die ganze Zeit. Bis jetzt. Damit ich es niemandem sage …«
    Bewusst hielt sie inne und sah Irene durch den Zigarettenrauch an. Sie kniff die Augen zusammen, und ihre teigigen Tränensäcke gerieten in Bewegung. Ihr Blick war bösartig.
    Irene fand, dass es an der Zeit war, wieder auf den Abend vor drei Jahren zu kommen.
    »Sie hörten also an jenem Abend, als Thomas verschwand, sein Boot hier vorbeifahren?«, fragte sie.
    »Ja. Wie gesagt war das merkwürdig, denn …«
    »Um wie viel Uhr war

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