Der erste Verdacht
sagte: »Sie kamen nicht nach Göteborg, um sich miteinander zu treffen, sondern um jemanden zu treffen, der nicht nach Paris fahren wollte oder konnte.«
Sanna Kaegler-Ceder sei nicht zu sprechen, teilte ihre Mutter Elsy mit. Ihre Tochter habe von ihrem Arzt starke Beruhigungsmittel erhalten und schlafe tief. Sie dürfe nicht gestört werden oder sich wieder aufregen, fügte ihre Mutter noch scharf hinzu.
»Teilen Sie Sanna mit, dass sie sich morgen früh um neun im Präsidium einzufinden hat. Sie soll nach mir fragen«, sagte Tommy energisch.
Er legte auf und schaute auf die Uhr.
»Bald halb fünf. Ich glaube, ich gehe heute etwas früher nach Hause. Ich habe einiges zu erledigen, und außerdem bin ich erkältet. Ich habe Halsschmerzen. Bis morgen.«
Bevor Irene noch etwas erwidern konnte, hatte er das Zimmer verlassen.
»Tschüs«, sagte sie zur bereits geschlossenen Tür.
Den ganzen Nachmittag hatte er es vermieden, länger mit ihr allein zu sein. Kajsa saß zusammen mit Birgitta ein paar Zimmer weiter und arbeitete fleißig.
Irene erwog ernsthaft, auch die Biege zu machen, sich aufs Bett zu werfen und die Decke über den Kopf zu ziehen.
Da klingelte das Telefon.
»Hallo. Hier ist Svante. Ich habe deinen Umschlag und die Visitenkarte dazwischengeschoben. Nach wenigen Minuten stand fest, dass die Fingerabdrücke übereinstimmen, und zwar mit hundertprozentiger Sicherheit.«
Irene dankte dem Mann von der Spurensicherung und legte nachdenklich auf. Sollte sie dem weiter nachgehen? Jedenfalls wollte sie sich die Eheleute Bonetti noch einmal vornehmen. Die Frau war bei ihrer letzten Begegnung kaum zu Wort gekommen. Sie fasste einen Entschluss und griff wieder zum Hörer.
»Guten Tag. Hier ist Inspektorin Irene Huss. Ich hätte noch ein paar ergänzende Fragen. Darf ich morgen Nachmittag vorbeikommen?«
KAPITEL 16
Sanna Kaegler-Ceder hatte das Meiste von ihrer Frische eingebüßt. Die Müdigkeit hatte tiefe Furchen um ihren Mund gegraben und dunkle Ringe um ihre Augen hinterlassen. Sie strahlte eine Resignation aus, die neu an ihr war. Sie tat Irene richtig Leid. Viele Menschen, die ihr nahe standen, waren ermordet worden. Thomas Bonetti konnte zwar kaum dazu zählen, wenn man ihr Verhältnis aus der letzten ph.com-Zeit bedachte, aber sie musste ihn trotzdem gut gekannt haben.
Sanna versuchte, mit Hilfe eines schwarzen Lederkostüms und einer tief ausgeschnittenen Bluse mit einem breiten Kragen, den Schein zu wahren. Sie trug sowohl das teure Kruzifix als auch den Ring. Die schwarzen Stiefel mit den hohen Pfennigabsätzen schienen sie nicht zu behindern. Irene hätte an ihrer Stelle das Gleichgewicht verloren. Sie tröstete sich damit, dass sie das mit ihren ein Meter achtzig auch nicht nötig hatte.
»Ich verkrafte das alles noch nicht. Ich muss immer noch starke Schlaftabletten nehmen und bin morgens fürchterlich müde«, teilte Sanna ohne Umschweife mit.
Als wolle sie den Wahrheitsgehalt unterstreichen, gähnte sie herzhaft, während sie sich setzte.
Tommy nickte und erwiderte mit einem freundlichen Lächeln:
»Das dachte ich mir schon. Deswegen habe ich auch neun Uhr gesagt. Wir fangen hier gewöhnlich um halb acht an.«
Sanna sah ihn ungläubig an, konnte seiner Miene aber nicht entnehmen, ob er die Wahrheit sagte. Er flunkerte natürlich, aber Irene hatte nicht vor, ihr das zu verraten.
Tommy raschelte mit ein paar Papieren, die er vor sich auf dem Tisch liegen hatte. Er blätterte suchend. Schließlich hielt er inne und schaute auf. Es gelang ihm, Sannas Blick aufzufangen.
»Heute wollen wir über Philip Bergman reden«, sagte er knapp.
Sanna erstarrte und verzog keine Miene.
»Philip und Sie waren alte Schulfreunde. Sie waren sehr gut befreundet, und laut gewissen Auskünften waren Sie mehr als nur befreundet. Was für ein Verhältnis hatten Sie?«
Sie zögerte ein paar Sekunden, ehe sie antwortete: »Er war mein bester Freund.« Ihre Stimme zitterte leicht.
Irene konnte nicht umhin, Tommy einen Blick zuzuwerfen, aber er erwiderte ihn nicht.
»Sie waren nie zusammen? Also ein Paar?«
»Nein. Wir teilten alles, nur nicht das Bett.«
In ihrer Stimme lag Bitterkeit, die sie nicht zu verbergen suchte.
»Wussten Sie, dass er homosexuell war?«
Es dauerte wieder eine Weile, bis sie antwortete.
»Ja. Aber erst … seit zwei Jahren. Eines Abends erzählte er mir von seinen Plänen, in Paris mit Joachim zusammenzuziehen.«
»Wie haben Sie darauf reagiert?«
»Ich glaube … ich
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