Der erste Verdacht
dasselbe Schwein handelt, das vor ein paar Wochen die drei anderen ermordet hat. Dass die Leiche drei Jahre dort gelegen hat, wissen wir ja bereits, und das passt auch zu den Erkenntnissen der Stridner. Ich habe die Spurensicherung vorhin nach Bonettis Brille gefragt. Sie haben sie nicht gefunden. Hat jemand einen Kommentar? Tut euch keinen Zwang an.«
Er lehnte sich zurück und schaute seine Inspektoren auffordernd an. Auch Kajsa warf er einen Blick zu, wandte ihn dann aber rasch wieder ab. Sie war kein schöner Anblick. Man konnte ihren Mut nur bewundern. Die meisten Frauen hätten sich geweigert, sich so in der Öffentlichkeit zu zeigen.
»Die Frage, die sich mir aufdrängt, ist, warum der Mörder die Leiche so weit auf die Schäre hochgeschleppt hat. Es ist ein beschwerlicher Weg. Wieso hat er sie nicht einfach ins Wasser geworfen? Das wäre viel einfacher gewesen«, meinte Tommy.
»Besonders im Hinblick darauf, dass Thomas Bonetti nicht gerade ein Fliegengewicht war«, sagte Irene.
»Er war recht klein, ein Meter sechzig nur, aber wog um die hundert Kilo. Sie müssen mindestens zu zweit gewesen sein, um ihn da hochzuwuchten«, vermutete Birgitta.
»Gibt es irgendwelche Verletzungen an seinem Körper oder Risse in der Kleidung, die darauf hindeuten könnten, dass er die Felsen hochgeschleift wurde? Beispielsweise mit Hilfe eines Seils um die Knöchel«, fragte Fredrik.
Andersson schüttelte den Kopf.
Irene dachte daran, wie schwierig es gewesen war, das erste Felsstück hinter der Bucht zu erklimmen. Die Felswand war steil ins Wasser abgefallen. Sie hatten versucht, eine quer verlaufende Spalte entlangzuklettern, und sich mit den Fingern an Vorsprüngen festgeklammert. Es konnte nur eine Erklärung geben.
»Da ich selbst an diesem Felsen hochgeklettert bin, glaube ich nur an eine Möglichkeit. Thomas Bonetti ist selbst geklettert.«
»Selbst? Warum hätte er das tun sollen?«, fragte Jonny.
»Weil ihn jemand mit einer Pistole bedroht hat, ihm Folter in Aussicht stellte oder ihn bereits gefoltert hatte. Weil er Todesängste ausstand.«
»Zu Recht«, murmelte Birgitta.
Es wurde eine Weile still, während sich alle das Szenario, das Irene entworfen hatte, vorstellten. Den dicken Thomas, der zitternd vor Angst auf die Schäre kletterte, nur um im Septemberdunkel kaltblütig hingerichtet zu werden. Eine grausige Szene, »Wie konnten sie beim Klettern im Dunkeln etwas sehen? Mit Hilfe von Taschenlampen?«, fragte Fredrik und beantwortete seine Frage im selben Atemzug selbst.
»Gut möglich. Vielleicht eine Stirnlampe. Aber es ist in der Tat auch möglich, einhändig zu klettern. Das habe ich gemacht, allerdings bei Tageslicht«, sagte Irene.
»Aber es ist mühsam. Daher glaube ich, dass sie ihm die Finger abgeschnitten haben, nachdem sie ihn erschossen hatten«, meinte Tommy nachdenklich.
Da niemand etwas sagte, setzte er seine Überlegungen fort:
»Wieso hat der Mörder seine Finger abgetrennt? Oder zumindest vier Stück?«
»Als Trophäen«, meinte Jonny im Brustton der Überzeugung. Irene und Jonny sahen sich rasch über den breiten Konferenztisch hinweg an. Sie erinnerten sich immer noch an die Trophäen, die ein Serienmörder, den sie gemeinsam gejagt hatten, gesammelt hatte. Es waren keine lieben Erinnerungen.
»Sehr gut möglich. Du denkst sicher an den Mörder von damals, der seine Opfer immer zerstückelte«, sagte Tommy.
»Ein typischer Serienmörder«, erwiderte Jonny und nickte.
»In der Tat. Aber die Frage lautet, ob es sich in diesem Fall auch um einen typischen Serienmörder handelt. Unser Mann hat zwar mehrere Personen ermordet, aber alle hatten etwas miteinander zu tun. Keines der drei jüngsten Opfer wurde verstümmelt. Nur Thomas Bonetti. Warum?«
»Ich glaube an die Trophäen. Eine Erinnerung an den Mord. Macht über das Opfer«, beharrte Jonny.
Er hatte sich in die Psyche von Serienmördern vertieft, nachdem er einem begegnet war. Rein statistisch betrachtet würde er mit größter Wahrscheinlichkeit auch der einzige bleiben, dem er in seinen Dienstjahren als Ermittler beim Dezernat für Gewaltverbrechen begegnete.
»Dann hätte er aber von den drei letzten Opfern auch etwas abschneiden müssen.«
Auch Tommy blieb beharrlich bei seiner Ansicht.
»Falls es wirklich derselbe Mörder war. Thomas könnte einem anderen Mörder zum Opfer gefallen sein als die drei anderen«, wandte der Kommissar ein.
»Wohl kaum. Vergiss nicht das ungewöhnliche Kaliber der Geschosse«,
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