Der erste Verdacht
beiden Kriminalbeamten und versuchte, sie einzuschüchtern, indem sie mit fiktiven Hochschulstudien angab.
Tommy nickte nur und blätterte in seinen Papieren. Irene wusste, dass er jetzt ein anderes Thema anschneiden würde.
»Wie gut kannten Sie Joachim Rothstaahl?«, fragte er.
»Joachim? Fast gar nicht.« Sannas Erstaunen klang echt.
»Wie haben Sie ihn kennen gelernt?«
»Auf einer Party in London. Thomas hat ihn Philip und mir vorgestellt. Das war unsere erste Begegnung. Verwandte von ihm hatten uns ein Unternehmen in der Modebranche abgekauft, das wir vorher groß rausgebracht hatten.«
»Aber Sie waren Joachim vorher noch nie begegnet?«
»Nein.«
»Und Sie haben ihn auch später nie mehr getroffen?«
»Nein. In der Tat nicht.«
»Aber Philip und Joachim müssen sich doch wohl nach dieser ersten Begegnung in London weiterhin getroffen haben?«
»Ja. Offenbar.«
»Davon wussten Sie nichts?«
»Nein. Sowohl Philip als auch ich hatten viele Freunde, ohne dass der andere sie jeweils gekannt hätte.«
Sie fasste sich an die Stirn und sagte theatralisch: »Jetzt ist es genug. Ich bin vollkommen fertig! Schließlich bin ich krankgeschrieben. Ich habe eine furchtbare Zeit hinter mir. Ich habe nicht die Kraft, noch weiter zu sprechen.«
»Eine letzte Frage: Wo waren Sie am Montagabend zwischen sieben und acht? Es geht um den Abend, an dem Philip und Joachim ermordet wurden.«
Sanna starrte ihn an. Die Müdigkeit war aus ihren Augen gewichen. Auf dem Grund ihrer schönen blauen Augen spiegelte sich das blanke Entsetzen.
»Zu Hause. Ich war mit Ludwig zu Hause.«
»In Askim?«
»Ja.«
»Alleine?«
»Ja.«
Irene versuchte, sich vorzustellen, wie Sanna aus der Kleiderkammer sprang und Philip und Joachim mit vier gezielten Schüssen erschoss. Falls es ihnen irgendwie gelang, ihr Alibi für den Zeitpunkt des Mordes an Kjell Bengtsson Ceder zu knacken, dann war es nicht undenkbar, dass sie tatsächlich die Pistole gehalten hatte. Hingegen wollte sie nicht recht zu dem Bild passen, das sie sich von Thomas Bonettis Mörder machte. Wahrscheinlich wäre sie rein körperlich zu dieser Tat nicht fähig gewesen.
Oder doch? Sanna hatte während dieses Verhörs demonstriert, welch eine Lügnerin und Schauspielerin sie war. Sie wirkte zwar schmal und zerbrechlich, aber Irene sah, wie durchtrainiert und eisern sie war.
Irene brach ihr Schweigen und stellte ihr eine letzte Frage:
»Haben Sie je mit einer Pistole geschossen?« Sanna schüttelte den Kopf.
»Nein. Nie!«, sagte sie mit Nachdruck.
Zum ersten Mal während des Verhörs war Irene davon überzeugt, dass sie die Wahrheit sagte.
»Sie lügt wie gedruckt!«, sagte Irene entrüstet, nachdem Sanna gegangen war.
»Ja, aber sie ist nicht so schlau, wie sie glaubt. Im Gegenteil ist sie eine so schlechte Lügnerin, dass es uns auffällt«, stellte Tommy fest.
Er trommelte mit seinem Stift gegen die Tischkante und sah Irene nachdenklich an.
»Glaubst du an diese Geschichte mit Ludwigs Zeugung?«, fragte er.
»Nein. Ein so abgebrühtes Mädel wie Sanna geht nicht einfach zwei Tage lang mit einem unbekannten Amerikaner ins Bett, ohne zu verhüten. Nicht in den Zeiten von Aids.«
»Nicht?«
»Nein. Zu gefährlich. Aber in ihrer Geschichte könnte ein Körnchen Wahrheit stecken.«
»Und zwar?«
»Dass Ludwig wirklich in New York gezeugt worden ist. Erinnerst du dich an den Pullover, den er an jenem Tag trug,mals Kjell Bengtsson Ceder erschossen wurde? Wir haben die Windel von Ludwig gewechselt und ihn gefüttert. Er trug ein winziges hellblaues T-Shirt, auf dem ›Made in New York‹ stand.«
»Wo du es sagst, erinnere ich mich auch dran.« Tommy nickte.
»Ich frage mich, was sie mit ihren Lügen bezweckt«, meinte Irene nachdenklich.
»Oder wen sie schützen will.«
»Sie hat zwar kein Alibi für den Montagabend, an dem Philip und Joachim ermordet wurden, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sie erschossen hat. Ich glaube, dass sie Philip geliebt hat.«
»Gerade deswegen könnte sie ihn ermordet haben. Klassisches Eifersuchtsdrama«, schlug Tommy vor.
»Nein. Joachim vielleicht, aber nicht Philip. Der Mord an Philip hat sie am meisten mitgenommen. Die anderen drei haben ihr, glaube ich, nicht so viel bedeutet.«
»Nein, genau! Kjell Bengtsson Ceder scheint ihr nicht das Geringste bedeutet zu haben! Warum hat sie ihn dann geheiratet, und warum hat er sich darauf eingelassen?«
»Vielleicht sehnte er sich ja wirklich nach einem Erben
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