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Der erste Weltkrieg

Der erste Weltkrieg

Titel: Der erste Weltkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Berghahn
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Die Erklärung des einflussreichen ADV war dem Reichskanzler sehr unwillkommen, weil er eine öffentliche Debatte über die deutschen Kriegsziele unbedingt vermeiden wollte. Hatte er doch das wohl richtige Gefühl, dass eine solche Debatte den inneren Burgfrieden stören oder gar zerstören würde, der zu Kriegsbeginn mühsam mit den Sozialdemokraten und Gewerkschaften als den Führungsorganisationen der Industriearbeiterschaft geschlossen worden war.
    In der Tat lässt sich die Interdependenz von innenpolitischer und militärischer Lage für Deutschland an der Kriegszielfrage besonders gut illustrieren. Zu Beginn des Krieges wurde diese Frage in allen beteiligten Ländern zunächst mit Vorsicht behandelt.Einmal wollten sich die verantwortlichen Politiker für den eines Tages kommenden Friedensschluss nicht die Hände binden. Zum Zweiten ahnte man, dass die Ankündigung riesiger Kriegsziele eine radikale Oppositionsbewegung auslösen würde. Je mehr die Kriegsziele daher allgemeine und universalistische Prinzipien propagierten und einen Ethnozentrismus und Annexionismus ablehnten, desto eher war damit zu rechnen, dass die, die auf ein baldiges Ende des Krieges hofften, die Kriegszielfrage nicht zu einem innenpolitischen Streitpunkt erheben wollten. Umgekehrt mussten ehrgeizige Annexionsforderungen, die für jeden erkennbar nur mit einem harten Siegfrieden zu verwirklichen waren, innenpolitisch polarisierend wirken. Sie würden unvermeidlich den Widerstand aller wachrufen, die weder an Territorialgewinnen ein Interesse hatten noch deswegen den Krieg bis zum Endsieg fortführen wollten, wenn sich die Chance für einen vorherigen Kompromissfrieden ergab.
    Die Kriegszielfrage hatte noch eine weitere innenpolitische Dimension. Die steigenden Kosten und Opfer des Weltkonflikts mussten überall die Forderung verstärken, größere soziale und politische Gerechtigkeit herzustellen, die schon vor 1914 überall in Europa die Arbeiter mobilisiert hatte. Sie tauchte in den Programmen der Arbeiterbewegungen auf, und Frauen meldeten damals ebenfalls den Kampf um die Gleichberechtigung und das Stimmrecht an. Manche der Programme bedienten sich einer reformistischen Sprache. Andere proklamierten die Revolution der bestehenden Eigentums- und Machtverhältnisse.
    Nach Kriegsbeginn erkannten Politiker und Unternehmer dann auch überall sehr schnell, dass der Druck «von unten» auf eine Veränderung der bestehenden sozialen und politischen Verhältnisse beträchtlich wachsen würde. Einer von ihnen war der Krupp-Direktor Alfred Hugenberg. Er meinte im Oktober 1914, man müsse mit einem erhöhten Machtbewusstsein der nach dem Kriege von der Front heimkehrenden Arbeiter rechnen. Sie würden Druck auf die Unternehmer ausüben und auch nach neuen Gesetzen verlangen.
    Auf diese Erwartungen der Soldaten und Zivilbevölkerung konnten die Verantwortlichen in zweierlei Weise reagieren. Entwedersie nahmen die Reformvorschläge auf und ließen eine langsame Transformation von Wirtschaft, Politik und Verfassung zu, dabei die radikaleren Forderungen ablehnend; oder sie beharrten auf der Bewahrung des Status quo, obwohl klar war, dass eine so konservative Strategie die Stabilisierung des bestehenden politischen Systems gefährden musste. Im Hinblick auf England und Frankreich wird man zu diesen Alternativen sagen können, dass man dort eher zu Reformen und Verfassungsänderungen bereit war als in Zentraleuropa. Man wusste, dass ein konservatives Mauern den Veränderungsdruck langfristig nur erhöhte. Es war daher besser, rechtzeitig auf das Partizipationsverlangen der «Massen» einzugehen.
    Auf Deutschland bezogen wird man hingegen sagen müssen, dass es dort zwar auch reformwillige Kräfte in Regierung und Wirtschaft gab; doch waren sie in den internen, 1915/16 einsetzenden Machtkämpfen um die Frage von «Reform oder Reaktion» immer wieder die Verlierer. So wie sich im Jahre 1914 bei dem Entschluss für einen großen Krieg die «Falken» um die beiden Generalstabschefs durchgesetzt hatten, obsiegten in Berlin im Kriege jedes Mal diejenigen, die nicht bereit waren, dem Proletariat irgendwelche sozialen oder politischen Konzessionen zu machen. Mehr noch: Nachdem der schnelle Sieg ausblieb und der Konflikt immer mehr Menschenopfer forderte, musste sich der Druck der kämpfenden Truppe und der Heimatfront mit jeder Woche, die der Krieg länger andauerte, erhöhen. Auf diesen Druck hatten die Monarchie und die sie stützenden Kräfte eine Antwort,

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