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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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und das Mitternachtsritual des Grünen Wolfes fing gerade an. Erneut tanzten wir den Schlangentanz zwischen den Feuern, sprangen über die roten, flackernden Flammen und verfingen uns letztendlich in den hellen, imitierten Feuerzungen. Die Sieger wurden zum König und zur Königin des Getreides gekrönt, und jedermann erhielt ein Fläschchen mit Honigmet und eine magische Waffel.
    Dann wurden die Feuer gelöscht, und als die Lichter erstarben, bildeten wir Männer einen Kreis und tauschten einen Schluck Met und einen Kuß mit jedem Mädchen aus. Obwohl das Licht aus war, wußte ich genau, wann ich wieder bei meiner Nymphe angelangt war, denn ich erkannte es am Geschmack ihres Kusses und am seidigen Flattern ihres grünen Blätterkostüms.
    Wir bahnten uns einen Weg zu einer Laube und krabbelten hinein, wobei ich sie in den Armen hielt Einmal rief sie den Namen eines anderen, aber das war in Ordnung. In der Finsternis war sie manchmal Ann und dann wieder alle anderen furchtsamen, lieben und immer wieder gebenden Mädchen.
     
    Der alte Mann, der im Park der Kommune 1949 saß, war angezogen wie jemand in einem Film aus den vierziger Jahren. Er trug einen Hut, ein Jackett, ein Hemd und eine Krawatte. Und er las in einer Zeitung, deren Schlagzeile TRUMAN KÜNDIGT MIETSENKUNGEN AN lautete.
    Die Kommune 1949 lebte fünfzig Jahre hinter der Zeit zurück. Es machte den alten Leuten Spaß, jene Zeiten noch einmal zu erleben, in denen sie jung und aktiv gewesen waren und die Zeitungen von 1949 gelesen hatten. Nächstes Jahr würden sie sich Kommune 1950 nennen.
    Ich ging zu ihm hinüber und nahm neben ihm auf der Bank Platz.
    „Mr. Kracken, die Damen sagen, sie hätten den Regierungscomputer programmiert.“ Verlegen hörte ich auf zu reden.
    Er senkte seine Zeitung und maß mich mit einem scharfen Blick. „Möchtest du was, George?“
    „Ich könnte ’n bißchen Nachhilfe über Wirtschaft brauchen.“
    Er lächelte, faltete die Zeitung zusammen und legte sie beiseite. „Zu so was bin ich immer bereit.“ Er war der beste Pokerspieler in der Kommune 1949, und die alten Damen waren beim Pokerspielen anspruchsvoll. Mr. Kracken war dürr und lederhäutig. Er hatte lauter Fältchen um die Augen, und ich hatte keine Ahnung, wie alt er war.
    Die Damen behaupteten, er sei vor Jahren Präsidentenberater gewesen.
    Die Frage, die ich ihm stellen wollte, kam mir nur sehr schwer über die Lippen. Er würde über mich lachen. Als ich sie ihm stellte, fing ich selbst an.
    „Mr. Kracken, ich kenne einen Burschen, der sagt, daß die Wirtschaftscomputer dazu programmiert wurden, jeden außer Computerfachleuten und Wissenschaftlern auszulöschen. Ich dachte … Vielleicht … vielleicht wissen Sie … Haben Sie vielleicht …“
    Er schob seinen Hut in den Nacken und fing an zu lachen. Dabei haute er mit seinem Spazierstock auf den Boden. „Hi, hü“ Sein Gelächter war schrill, aber herzlich. „Da kannst du Gift drauf nehmen, George. Da kannst du Gift drauf nehmen. Du hast absolut recht.“ Er lachte weiter, zog ein Taschentuch aus der Innentasche seines Jacketts und wischte sich über die Augen. „Alle meine Freunde waren Computerfachleute. Sie haben mir dabei geholfen, das Wirtschaftsprogramm zu erstellen. Ja, wir waren damals ziemlich weit oben! Wir hatten eine Menge Spaß und führten anspruchsvolle Gespräche. Sie waren das Salz der Erde, das Salz der Erde. Es ging nur darum, den Fortschritt ein bißchen zu beschleunigen, ohne böse Absicht. Die Affen würden sowieso irgendwann ausgestorben sein. Ich hätte noch früher damit angefangen.“
    Er hatte ja! gesagt. Ich glaubte seinen Worten nicht. Ich hatte eigentlich vorgehabt, näher an ihn heranzurücken, aber nun stand ich auf. Ich zwang mich selbst zum Lachen. Machte er Witze?
    Mr. Kracken schaute zu mir auf. Er sah mich direkt an und sprach die Wahrheit. „Du glaubst, ich scherze – wie die anderen auch. Wer mich auf die Palme bringen möchte, braucht nur zu denken, daß ich scherze. Aber das sei jedem unbenommen. Wir haben es getan. Ebenso wie wir bestimmte Dinge wegen ihrer sozialen Schädlichkeit besteuerten, verstehst du? Wir erlaubten Steuerabschreibungen für die Entwicklung arbeitssparender Maschinen. Aber auch die hatten ihren Preis. Sie kosten nicht nur die Löhne, die man durch das Feuern der Affen, die sie ersetzen, einspart, sondern auch noch das Geld, das man braucht, um sie auf Sozialhilfe zu setzen, sie zu deportieren oder umzuschulen. Es kostet eine Menge.

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