Der Esper und die Stadt
achtzehn an, um dich an Bord zu nehmen. Du hast Zeit genug, um hinüberzugehen.“
Über die grünen Bürgersteige ging ich an den grasbewachsenen Mittelstreifen unter den Baumreihen entlang nach Westen und bewegte mich im Schatten großer, gläserner Gebäude. Die vorbeikommenden Leute waren aufgekratzt, guten Mutes und gingen mit erhöhter Energie zur Arbeit. Das erinnerte mich an etwas: In der Geschichtsstunde hatte man wiederholt darauf hingewiesen, daß die Menschen nach großen Katastrophen immer glücklicher und optimistischer waren. Überlebende scheinen alle das gleiche Gefühl von Optimismus zu teilen.
Obwohl ich mich wunderte, teilte ich ihr Gefühl, als ich unter der gigantischen Hochstraße dahinging und über eine Treppe zu den Landungsbrücken des Hudson River hinaufstieg. An einem Fischereianlegeplatz dümpelte ein kleines U-Boot auf den Wellen. Ein Mann von der Küstenwache steckte seinen Kopf heraus, erwiderte mein Winken und gab mir mit einer Handbewegung zu verstehen, ich solle an Bord kommen.
Es wurde ein erfolgreicher Arbeitstag. Während wir mit dem U-Boot über der zusammengesackten Hülle der unterseeischen Kuppel kreuzten, fanden und retteten wir zwei eingeschlossene Menschen und eine Katze. Sie waren alle drei gut in Form, überglücklich über ihre Rettung und überschütteten uns mit Dank und guten Wünschen. Sie waren völlig aus dem Häuschen, umarmten sich und uns, und auch die Katze zeigte ihren Dank, als sie sich schnurrend an uns rieb. Auf dem Weg zum Ufer sangen die Geretteten aus lauter Kehle.
Nachdem wir die Leute bei einem Ambulanzwagen abgeliefert hatten, der sie zur medizinischen Untersuchung bringen würde, sah ich mir den Einsatzbefehl näher an. „Ende der Arbeitszeit eintragen“, stand da, und: „Unterschrift des Konsultationseinholenden.“ Dann waren da drei gestrichelte Linien.
„Was soll das bedeuten?“ Ich zeigte dem Mann von der Küstenwache das Formular.
Der Steuermann des U-Bootes sah es sich an, trug eine Zeit ein, unterschrieb mit seinem Namen und deutete auf die oberste Linie. „Unterschreiben Sie hier.“
Ich tat es. „Und warum?“
„Sie müssen wissen, wieviel Stunden Sie gearbeitet haben. Hier steht, daß man Ihnen fünfundzwanzig Dollar pro Konsultationsstunde zahlt.“
„Was von dem, was wir getan haben, war denn eine Konsultation?“ fragte ich und wunderte mich über den hohen Tarif.
„Na, alles. Vier bis fünf Stunden, wenn sie uns auch noch die Mittagspause mitberechnen. Das macht einhundertfünfundzwanzig Dollar.“
„Scheiiiße!“
„Spezialist zu sein zahlt sich aus; und ein Spezialist sind Sie.“
Wir standen auf dem höchsten Punkt der Betonmauer des Hudson River und sahen auf die städtischen Straßen hinab. Der salzige Wind peitschte unser Haar und zerrte an unseren Kleidern.
„Das ist eine Menge Geld“, sagte ich. „Und was tue ich jetzt?“
Der Mann von der Küstenwache gab mir meine Anweisungen zurück. „Gehen Sie jetzt zur Computeranlage für allgemeine Statistik und melden Sie sich bei Ben Russo oder Joe Levinsky.“
Ich sah auf die kleinen, salzigen Wellen des Hudson, die – vom Wind getrieben – ununterbrochen gegen den feuchten Zement der Flußmauer klatschten. Der Wasserspiegel war drei Meter höher als die Ebene der Straße.
„Steigt er?“ fragte ich den Mann von der Küstenwache.
„Kaum drei Zentimeter in den letzten fünf Jahren“, sagte der Mann lächelnd. „Kein Problem. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Sanford.“ Dann ging er zu seinem U-Boot zurück.
Die Sonne glitzerte auf dem Wasser. Ich lief die Betontreppe hinunter, entfernte mich vom Fluß und machte mich an den
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