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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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grins­te vor mich hin. „Er weiß, wie man die Leu­te an­spricht.“
    „Bist du be­reit, ihn für die Po­li­zei auf­zu­spü­ren, Ge­or­ge?“
    „Nein.“
    „Man wird ihn auch so krie­gen. Er ist be­reits iden­ti­fi­ziert wor­den. Sein Nach­na­me ist Ru­ba­schow. Lar­ry Ru­ba­schow. Er ist fünf­zehn Jah­re alt und kommt aus dem Au­to­ma­ti­ons­kom­plex von Ne­va­da.“
    „Wor­an hat man ihn er­kannt? An den Fin­ger­ab­drücken?“
    „Nein, am Vo­ka­bu­lar. Der Stil sei­ner Er­pres­ser­brie­fe an die Kom­mu­nen war der glei­che wie der ei­nes Lar­ry Ru­ba­schow, der im De­zem­ber einen na­tio­na­len Preis für einen Band mit Ge­dich­ten und Essays be­kom­men hat. Willst du noch mehr wis­sen?“
    „Ger­ne.“ Ich woll­te mehr über Lar­ry er­fah­ren. „Wie­viel von ei­nem Ge­nie hat er?“
    „Er hat aus­ge­zeich­ne­te Schul­no­ten in Eng­lisch, Sym­bo­lis­mus und der Ge­schich­te so­zia­ler Dy­na­mik. Hat ei­ne The­ra­pie ge­gen einen Emo­tio­nal­block in Ma­the und Elek­tro­nik hin­ter sich. Sein Va­ter ar­bei­tet im Ne­va­da-Com­pu­ter-Kom­plex im Be­reich der Da­ten­wie­der­her­stel­lung; sei­ne Mut­ter lehrt das glei­che in ei­ner Pro­gram­mie­rer­schu­le. Bei­de ver­die­nen vier­stel­li­ge Sum­men. Lar­ry ist ihr äl­tes­tes Kind. Zwei jün­ge­re Ge­schwis­ter lei­den an di­ver­sen emo­tio­na­len Schwä­chen und müs­sen spo­ra­disch ins Kran­ken­haus. Die El­tern wur­den als pa­tho­gen ein­ge­stuft und dür­fen kei­ne Kin­der mehr be­kom­men.“
    „Was heißt das, pa­tho­gen?“
    „Krank­heits­er­zeu­gend. Sie soll­ten kei­ne Kin­der ha­ben, weil sie sie nur ver­kork­sen. Willst du noch mehr wis­sen?“
    „Nein, dan­ke, Ah­med.“
     
    Kar­ne­val. Zu­sam­men mit der war­men Som­mer­luft kam das rhyth­mi­sche Trom­meln mar­schie­ren­der Spiel­manns­zü­ge durch das Fens­ter her­ein. Ob­wohl ich noch schlief, fing ich an, die Er­in­ne­rungs­bil­der ko­stü­mier­ter Men­schen­men­gen zu se­hen. Es war ei­ne Pa­ra­de präch­ti­ger Kar­ren, Spie­le und Schau­kämp­fe im Sta­di­on und abend­li­cher Fes­te und selt­sa­mer Ver­klei­dun­gen. Um Mit­ter­nacht über­trug das städ­ti­sche Laut­spre­cher­sys­tem das Ti­cken der Uh­ren, und die, die sich auf den Par­tys noch fremd wa­ren, wand­ten sich ein­an­der zu, wa­ren blind von sinn­lich­kei­ter­zeu­gen­den Sprays und tanz­ten zum Klang der Trom­meln. Schla­fen. Ich dreh­te mich her­um.
    Ei­ne Stim­me aus der Er­in­ne­rung sag­te deut­lich: „Je­des Sys­tem wird zu ei­nem Sys­tem, in­dem es sei­ne op­po­si­tio­nel­len Kräf­te aus­schließt. Die mensch­li­che Na­tur ver­drängt je­doch ih­re un­ter­drück­ten op­po­si­tio­nel­len Im­pul­se nicht. Sie ak­ku­mu­lie­ren und ver­la­gern sich in Phan­tasi­en. Al­le al­ten und be­stän­di­gen Zi­vi­li­sa­tio­nen sta­bi­li­sier­ten sich, in­dem sie pe­ri­odisch Ze­re­mo­ni­en ab­hiel­ten, um die an­ge­wach­se­nen op­po­si­tio­nel­len Im­pul­se frei­zu­set­zen.“ Es war die kla­re Stim­me un­se­rer An­thro­po­lo­gie-Leh­re­rin aus der fünf­ten Klas­se. Als ich wach wur­de, fiel mir ein, daß sie uns ein paar ir­re Fil­me über den Kar­ne­val in al­ler Welt – und wel­che aus der tiefs­ten Ver­gan­gen­heit – ge­zeigt hat­te. Son­nen­wen­dop­fer, Or­gi­en, Früh­lings­ri­tua­le und so wei­ter. Höh­len­menschen, al­te Grie­chen und Mar­di Gras in New Or­leans.
    Un­ter dem Fens­ter er­klan­gen dump­fe Trom­mel­wir­bel. Bum, bum, bum­bum­bum – bum, bum, bum­bum­bum. Ich leg­te mich auf die Sei­te, stand un­be­klei­det auf, blin­zel­te in das hel­le Son­nen­licht hin­ein und be­fürch­te­te, daß ein Teil der kar­ne­va­lis­ti­schen Se­hens­wür­dig­kei­ten be­reits vor­bei­ge­gan­gen war.
    Der Be­su­cher­schlaf­raum war fast leer. Die an­de­ren wa­ren auf die Stra­ße ge­gan­gen, um sich den Som­mer­kar­ne­val an­zu­se­hen. Ich stieg in mei­ne Shorts und die San­da­len, stopf­te mei­ne Sa­chen in die Schlafsack­rol­le und lief hin­un­ter. Die an den Wän­den hän­gen­den Pla­ka­te ga­ben be­kannt, wo Ver­an­stal­tun­gen lie­fen. Auf ei­nem stand HOL DIR EIN

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