Der Esper und die Stadt
Seite führten die Stufen auf ein winziges Steingebäude zu: eine säulenförmige Hütte mit einem Altar. Diese Stufen waren umringt von „Azteken“, die beobachteten, wie der „König“ an ihnen vorbeigetragen wurde.
Die farbenprächtigen Federn, die den Kopfschmuck der Priester ausmachten, wiegten sich im Wind, als die Puppe, die einen gefangenen König darstellte, vom Thron gehoben wurde. Ahmed streckte den Arm aus, stellet die Kamera auf die Puppe ein und betätigte das Zoom. Einen Moment lang füllte das glatte, leere Gesicht der Puppe den ganzen Bildschirm aus. Dann verdeckten die Priester die Szene, und wir sahen nur noch vier tragende Hände und ein paar Arme und Beine, als sie die letzten Schritte auf den Altar zu machten.
Vier linke Hände? Das gefiel mir nicht! Ich versuchte mir vorzustellen, einer dieser Priester zu sein. Kraftaufwand, Gewicht, die Gefahr des Abstürzens, die Aufregung, in der etwas schiefgehen konnte. Plötzlich erschien mir der Kalenderstein am Himmel wie ein großes Uhrengesicht, aber das war kein Kameratrick. Ich sah weg, schaute aus dem Fenster, sah über uns die Sonne scheinen und erblickte in dem Kalenderstein vage ein großes Zeit- und Schicksalsrad. Ich halluzinierte.
„Warum hat die Puppe denn ein solches Kostüm an?“ fragte Ann.
Ahmed sagte: „Manchmal kleiden sie ihre Opfer an wie den Gott selbst, damit sie auch sichergehen, daß die Seele beim Richtigen landet.“ Er drehte den Ton lauter.
Die gelehrt klingende Stimme des Kommentators sagte: „Nachdem man in ganz Europa die Opferungsrituale gemäßigt hatte, Puppen einsetzte oder nur symbolische Opfer brachte, fuhren im Jahr 1500 nur noch die Azteken damit fort, ihre Pyramiden mit dem Blut Tausender menschlicher Opfer zu benetzen. Die Gefangenen, die an solchen besonderen Tagen wie dem heutigen geopfert wurden, waren die reinsten und hübschesten Jungfrauen und Kinder, aber auch Häuptlinge oder deren Söhne. Die Azteken glaubten, große Seelen würden sich mit der Sonne vereinen und zu ihrem Glanz beitragen. Gefangengenommene Könige wurden gehegt und gepflegt und dann geopfert.“
Es waren herrliche Farben, rote und purpurne Federn, und auf dem Kopf der Puppe befand sich eine Federkrone. Der Kopfschmuck der Priester besaß eine phantastische, symbolische Form. Die Priester trugen die Puppe zum Altar und legten sie rücklings, mit dem ausdruckslosen Gesicht nach oben, auf die Platte. Zwei starke Priester bewegten die Arme, und die Brust des Opfers wölbte sich wie bei einem richtigen Menschen. Vier Männer waren nötig gewesen, um die Puppe zu tragen. Je eine Hand. Vier linke Hände. Wie schwer mochte sie sein? Wenn die Puppe mit Stroh gefüllt war, hätte auch einer genügt.
Jeder wußte, daß die Azteken-Kommune nur Sadomasochisten aufnahm, aber das war ihre eigene Sache, solange sie in den eigenen vier Wänden blieben und keine Fremden in das miteinbezogen, was sie miteinander taten.
Ich musterte das neben uns stehende Aztec-Building durch die Windschutzscheibe. Es war ein riesiger Turm, der nicht nur Geld repräsentierte, sondern auch das Recht auf den Wahnsinn, in der eigenen Privatsphäre nach den eigenen Gesetzen zu leben. Der Motor des Kopters änderte seinen Ton. Offensichtlich paßte die Maschine sich den wechselnden Windverhältnissen an, die zwischen den Türmen draußen herrschten. „Woher weißt du eigentlich, daß das eine Puppe ist?“ fragte ich.
Ahmed gab keine Antwort, aber gehört hatte er mich. In mir kroch so was wie Angst hoch. Ich betätigte den Interkom-Knopf unter dem Bildschirm, der das Büro der Rettungsbrigade zeigte. Judd drehte sich um und sah uns
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