Der Esper und die Stadt
George?“
Das Telefon klingelte. Das Telefon? Mir fiel ein, daß Larry vorgehabt hatte, von der Telefonzelle auf der anderen Seite des U-Bahn-Tunnels eine Leitung in sein Versteck zu ziehen. Ich hörte, wie er mit verstellter Stimme antwortete, bewegte den Kopf, öffnete ein Auge und beobachtete ihn dabei, wie er durch eine Aluminiumfolie sprach, um den polizeilichen Stimmprüfern zu entgehen, die alle Gespräche überwachten. „Geht’s dir gut, George?“
„Mhm.“ Ich setzte mich hin, ließ den brüllenden Schmerz in meiner gespannten Rückenhaut abklingen (es tat nicht so weh wie ein Sonnenbrand) und stand dann auf. Eilig zog ich mir die Hosen hoch und schlüpfte langsam und vorsichtig in ein Hemd.
„Klar, alles in Ordnung. Mir geht’s gut. Was war denn überhaupt los?“
„Hast dich wohl mit Weeny gekloppt. Schätze, du hast verloren. Hast eben Pech gehabt. Bist wohl gestolpert, und da ist’s passiert.“
Da er nicht die ganze Wahrheit sagte und sich deswegen schämte, sah er weg, um mir nicht in die Augen sehen zu müssen. „Tut mir leid. Ich war nicht da, sonst hätte ich was unternommen.“ Der Junge war dünner geworden. Sein Gesicht und sein Haar sahen schmutzig aus, denn die schwarze Farbe war zerlaufen. Er strahlte Furchtvibrationen aus. „Streck den Arm aus, George. Dein Rücken sieht schlimm aus. Du brauchst ein Antibiotikum.“
Ich streckte einen Arm durch die Gitterstäbe und spürte, wie die Nadel in ihn eindrang. „Welchen Tag haben wir heute, Larry? Wenn es Mittwoch ist, muß ich mich feinmachen und bei der Rettungsbrigade melden.“ Ich hatte einen komischen Geschmack im Mund – das kam wohl von meinem Blutkreislauf, in dem die grünen Tranquilizer steckten. Der Raum wirkte größer und wärmer.
„Es ist nicht Mittwoch.“ Larry musterte mich aufmerksam aus halb zusammengekniffenen, grünen Augen. Er bewegte sich nicht und hatte die tropfende Spritze noch in der Hand.
„Es gibt überhaupt keinen Mittwoch – bloß Dienstag und Donnerstag.“
Das hatte seine Stimme schon mal gesagt, so oft, daß ich mich nicht erinnern konnte, wie oft. Der Mittwoch war verschwunden. Wie lustig. Ich fing an zu lachen. Als ich lachte, entspannte Larry sich. Er bewegte sich und lächelte. Dann legte er die Spritze weg und gab mir einen Vierteldollar. „Nimm, damit du aus dem Käfig rauskommst, George. Wir werden in der Stadt noch ein paar große Sachen abziehen, und zwar heute. Ich werd’ dich nicht noch einmal allein hier zurücklassen. Von jetzt an sind wir Kumpels. Egal, was ich auch mache, du wirst mir dabei helfen.“
George wurde seit zehn Tagen vermißt.
Ahmed verbrachte einen halben Tag mit den üblichen Aufgaben, die ein Agent der Rettungsbrigade zu erledigen hat, wenn er Schwierigkeiten von vornherein unterbinden will, und kehrte dann ins Polizeipräsidium zurück, um seine Dienste beim Aufspüren der Larry-Rubaschow-Bande anzubieten. Man hatte ihn zwar an die Kriminalpolizei überstellt, aber wirkliche Hilfe konnte er noch nicht bieten. Er wartete darauf, daß George sich von der Bande trennte. Erst dann wollte er sie hochgehen lassen.
Aber wie lange sollte er noch warten? Die Bande war auf Draht, hatte eine Menge Glück und schlüpfte durch alle Netze. Sie hatte eine Reihe unerklärlicher Diebstähle begangen, und Larry hatte überall die Nachricht hinterlassen, daß die Kommunen ihn dafür bezahlen sollten, um seinen Schutz gegen irgendwelche Sabotageaktionen zu bekommen, Das Glück der Bande konnte man sich nur dadurch erklären, daß George sie mit seinen ESP-Fähigkeiten unterstützte. Und mit jedem verstreichenden Tag wurde es wahrscheinlicher, daß Larry irgend etwas bombardieren oder eine größere Sabotagesache
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