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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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schnell wei­ter­ge­rannt und hat­ten nicht ge­se­hen, wie ich hin­ter der Wand ver­schwun­den war.
    Mit dem Ge­ruch von Staub und Ze­ment in der Na­se kroch ich in to­ta­ler Blind­heit die en­ge Trep­pe hin­auf. Da­bei ver­letz­te ich an den stei­ni­gen Wän­den mei­ne Knö­chel und er­zeug­te schar­ren­de Ge­räusche, als un­ter mei­nen Bei­nen al­ler­lei Ge­röll und Stein­chen in Be­we­gung ge­rie­ten und un­ter mir weg­rutsch­ten. Dann hielt ich an und dach­te nach.
    Ich war hier, um zu ver­su­chen, Ah­med zu fin­den. Man nahm an, daß ich ihn auf­spü­ren konn­te, in­dem ich sei­ne Vi­bra­tio­nen ein­fing. Aber bis­her hat­te ich nichts wei­ter ge­tan, als der Theo­rie zu fol­gen, daß er durch den al­ten Ge­heim­gang ins Ara­ber­land ein­ge­drun­gen war oder sich – als Ara­ber ver­klei­det – durch den Hauptein­gang ge­blufft hat­te, aber spä­ter ge­schnappt wur­de. Und ich, der in Theo­rie im­mer ’ne glat­te Fünf hat­te, ver­such­te ihn an­hand ei­ner Theo­rie auf­zu­spü­ren! Wenn ich mei­nen Ah­nun­gen nach­ge­gan­gen war, hat­te ich im­mer mehr Glück ge­habt. Es war wohl bes­ser, wenn ich das tat, was der Chef vor­ge­schla­gen hat­te: mei­nen Ge­füh­len fol­gen.
    Wenn Ah­med in Schwie­rig­kei­ten war – wel­che Vi­bra­tio­nen wür­de er dann aus­sen­den? Ich stand da, dach­te nach und ver­such­te mich an ei­ne ähn­li­che Sa­che zu er­in­nern. Ich kann mich dar­an er­in­nern, ne­ben ihm zu ste­hen und ihm die Hand zu schüt­teln. Ich er­in­ne­re mich dar­an, wie er mir auf die Schul­ter klopft und mir die Hand schüt­telt, weil er mir gra­tu­lie­ren will oder so was. Ich er­in­ne­re mich dar­an, ein un­ter­setz­ter, dick­li­cher, star­ker Jun­ge von zwölf ge­we­sen zu sein. Ich er­in­ne­re mich an Ah­med, der ein Jahr äl­ter und einen Kopf grö­ßer ist. Er hat die High School zur Hälf­te hin­ter sich. Er ist groß und stark und kör­per­lich durch­trai­niert wie ein Wind­hund. Er liest Bü­cher, kriegt gu­te No­ten in Ma­the­ma­tik, kommt mit der Leh­re­rin gut zu­recht und fuhrt sei­nen Stamm auf Ent­de­ckungs­rei­sen durch die Stadt. Er hat nie Vi­bra­tio­nen aus­ge­strahlt, die an­zeig­ten, daß er in Schwie­rig­kei­ten war. Ah­med hat nie Schwie­rig­kei­ten ge­habt. Er war im­mer am rich­ti­gen Drücker, und al­les, was er aus­strahl­te, war ei­ne in­ne­re Er­re­gung, die aus Lo­gik be­stand.
    Mit dem Ge­ruch von Kalk­staub in der Na­se, der all­mäh­lich trock­ne­te, stand ich auf der dunklen Trep­pe und zit­ter­te gleich­zei­tig vor Er­re­gung und An­stren­gung. Denk nach.
    Mir fiel ein, daß an mei­nem Schlüs­sel­ring ein klei­nes Lämp­chen hing. Im­mer­hin ein Ge­dan­ke. Es war zwar ein spä­ter, aber gu­ter Ge­dan­ke.
    Ich kram­te es her­aus und schal­te­te es an. Ein hel­les Licht be­leuch­te­te die en­gen Wän­de der Trep­pe. Sie hat­ten Sprün­ge, und auf den Stu­fen lag Staub. Ich such­te nach Fuß­spu­ren, aber da wa­ren kei­ne – au­ßer mei­nen ei­ge­nen, und die wa­ren auf den Stu­fen, die ich ge­ra­de er­stie­gen hat­te. Die­sen Weg hat­te Ah­med al­so nicht ge­nom­men.
    Ich ging wei­ter hin­auf. Und vor­sich­tig, um nicht auf die Kie­sel zu tre­ten. Dann kam ei­ne Stahl­tür, an der die Trep­pe en­de­te. Ne­ben der Tür be­fand sich ein un­re­gel­mä­ßig ge­form­tes Loch. Dort hat­ten wir da­mals Zie­gel­stei­ne aus der Wand ge­zo­gen. Das Loch war groß ge­nug, um ein Kind hin­durch­zu­las­sen, aber zu klein für mich. Ich lös­te fünf wei­te­re Stei­ne und sta­pel­te sie laut­los auf den Trep­pen­stu­fen. Als ich die Ze­ment­fu­gen her­aus­kratz­te, fiel der Putz nach au­ßen in die Lee­re und lan­de­te sie­ben Me­ter tiefer kli­ckend und ra­schelnd auf ei­nem Stein­bo­den. Mit den Bei­nen zu­erst kroch ich durch das Loch hin­aus und tas­te­te mich ab­wärts, bis ich fes­ten Bo­den un­ter den Fü­ßen spür­te. Schließ­lich zwäng­te ich mich ganz hin­durch und stand auf ei­nem Eis­en­trä­ger.
    Ich ließ mein Licht in die Run­de blit­zen. In der kas­ten­för­mi­gen Dun­kel­heit la­gen sich zahl­rei­che un­be­nutz­te Fens­ter ge­gen­über. Sechs Eta­gen vol­ler Fens­ter, hin­ter de­nen nie­mand

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