Der Esper und die Stadt
schnell weitergerannt und hatten nicht gesehen, wie ich hinter der Wand verschwunden war.
Mit dem Geruch von Staub und Zement in der Nase kroch ich in totaler Blindheit die enge Treppe hinauf. Dabei verletzte ich an den steinigen Wänden meine Knöchel und erzeugte scharrende Geräusche, als unter meinen Beinen allerlei Geröll und Steinchen in Bewegung gerieten und unter mir wegrutschten. Dann hielt ich an und dachte nach.
Ich war hier, um zu versuchen, Ahmed zu finden. Man nahm an, daß ich ihn aufspüren konnte, indem ich seine Vibrationen einfing. Aber bisher hatte ich nichts weiter getan, als der Theorie zu folgen, daß er durch den alten Geheimgang ins Araberland eingedrungen war oder sich – als Araber verkleidet – durch den Haupteingang geblufft hatte, aber später geschnappt wurde. Und ich, der in Theorie immer ’ne glatte Fünf hatte, versuchte ihn anhand einer Theorie aufzuspüren! Wenn ich meinen Ahnungen nachgegangen war, hatte ich immer mehr Glück gehabt. Es war wohl besser, wenn ich das tat, was der Chef vorgeschlagen hatte: meinen Gefühlen folgen.
Wenn Ahmed in Schwierigkeiten war – welche Vibrationen würde er dann aussenden? Ich stand da, dachte nach und versuchte mich an eine ähnliche Sache zu erinnern. Ich kann mich daran erinnern, neben ihm zu stehen und ihm die Hand zu schütteln. Ich erinnere mich daran, wie er mir auf die Schulter klopft und mir die Hand schüttelt, weil er mir gratulieren will oder so was. Ich erinnere mich daran, ein untersetzter, dicklicher, starker Junge von zwölf gewesen zu sein. Ich erinnere mich an Ahmed, der ein Jahr älter und einen Kopf größer ist. Er hat die High School zur Hälfte hinter sich. Er ist groß und stark und körperlich durchtrainiert wie ein Windhund. Er liest Bücher, kriegt gute Noten in Mathematik, kommt mit der Lehrerin gut zurecht und fuhrt seinen Stamm auf Entdeckungsreisen durch die Stadt. Er hat nie Vibrationen ausgestrahlt, die anzeigten, daß er in Schwierigkeiten war. Ahmed hat nie Schwierigkeiten gehabt. Er war immer am richtigen Drücker, und alles, was er ausstrahlte, war eine innere Erregung, die aus Logik bestand.
Mit dem Geruch von Kalkstaub in der Nase, der allmählich trocknete, stand ich auf der dunklen Treppe und zitterte gleichzeitig vor Erregung und Anstrengung. Denk nach.
Mir fiel ein, daß an meinem Schlüsselring ein kleines Lämpchen hing. Immerhin ein Gedanke. Es war zwar ein später, aber guter Gedanke.
Ich kramte es heraus und schaltete es an. Ein helles Licht beleuchtete die engen Wände der Treppe. Sie hatten Sprünge, und auf den Stufen lag Staub. Ich suchte nach Fußspuren, aber da waren keine – außer meinen eigenen, und die waren auf den Stufen, die ich gerade erstiegen hatte. Diesen Weg hatte Ahmed also nicht genommen.
Ich ging weiter hinauf. Und vorsichtig, um nicht auf die Kiesel zu treten. Dann kam eine Stahltür, an der die Treppe endete. Neben der Tür befand sich ein unregelmäßig geformtes Loch. Dort hatten wir damals Ziegelsteine aus der Wand gezogen. Das Loch war groß genug, um ein Kind hindurchzulassen, aber zu klein für mich. Ich löste fünf weitere Steine und stapelte sie lautlos auf den Treppenstufen. Als ich die Zementfugen herauskratzte, fiel der Putz nach außen in die Leere und landete sieben Meter tiefer klickend und raschelnd auf einem Steinboden. Mit den Beinen zuerst kroch ich durch das Loch hinaus und tastete mich abwärts, bis ich festen Boden unter den Füßen spürte. Schließlich zwängte ich mich ganz hindurch und stand auf einem Eisenträger.
Ich ließ mein Licht in die Runde blitzen. In der kastenförmigen Dunkelheit lagen sich zahlreiche unbenutzte Fenster gegenüber. Sechs Etagen voller Fenster, hinter denen niemand
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