Der Esper und die Stadt
lebte in einer altmodischen Gegend bei Pflegeeltern, die an das Zusammenleben der Rassen glaubten. In unserer Bande waren Kinder fast aller Rassen, und da das UNO-Gebäude ganz in der Nähe lag, nannten wir unseren Stamm die UN-Bruderschaft.
Wir hatten ein Spiel, das wir „Hühnchen folgt dem Anführer“ nannten. Wenn man zuviel Angst bekam, dem Anführer noch weiter zu folgen, mußte man als Strafe eine ganze Woche lang gackern und mit den „Flügeln“ schlagen, wenn einen jemand ansprach. Wenn die schwarzen Kinder Anführer spielten, führten sie uns natürlich durch das schwarze Gebiet, und da waren wir bald alle „Hühnchen“, ausgenommen jene, deren Haut dunkel genug war.
Wenn wir zwischen den Stützbalken der Brücken herumkletterten, waren wir natürlich großartig, aber sobald es darauf ankam, in bestimmte rassische Gebiete einzufallen, spielten so viele von uns „Hühnchen“, daß wir das Strafmaß auf einen Tag heruntersetzen mußten, um überhaupt mal wieder miteinander sprechen zu können. Ahmed wickelte sich manchmal – wie ein Araber – in Bettlaken und behauptete, allein in das Araberland eingedrungen zu sein. Er zeigte uns auch eine Handvoll Sand, aber wir baten ihn erst dann, uns mal mitzunehmen, nachdem er in den Kellern einiger Ruinen auf geheime Gänge gestoßen war. Sie endeten in den Kellerräumen jener Häuser, die man vor der Ankunft der Araber abgerissen und zugedeckt hatte.
Schon in dieser Zeit nannten wie ihn Ahmed den Araber. Er stahl Burnusse und Kostüme für uns und führte uns fünfmal in das Araberland. Dort liefen wir wie echte arabische Kinder herum und sahen uns an, was wir nicht kannten: verschleierte Frauen, Harems, hörten den Muezzin rufen und sahen die Männer beten, die sich nach Mekka wandten. Wir sahen auch die jungen arabischen Männer, mit eingeölten, glänzenden Muskeln. Sie übten sich in Kriegsspielen und Messerkämpfen.
Wenn irgendein arabisches Kind mißtrauisch wurde und uns zu nahe kam, führte Ahmed uns nach draußen. Wir rannten dann schnell durch ein Wirrwarr von Gängen durch die aufgebrochenen Keller der Ruinen, krabbelten durch einen stinkenden, aber trockenen Abflußkanal zu einem Ausstiegloch und retteten uns auf die öffentliche Straße.
Unser letztes Eindringen in das Araberland ging nicht gut aus. Sie hatten rausgekriegt, daß fremde Kinder in ihr Territorium eingedrungen waren, und sich auf uns vorbereitet. Als wir türmten, rannten die Araberkinder den ganzen Weg johlend hinter uns her. Sie fanden unseren Einstieg in ihre Keller und hatten bald unsere Kleinen eingeholt, die nicht so schnell mitkamen. Sie packten sich den großen Jungen, der zurückgeblieben war, um die Flucht der Kleinen zu decken und warfen ihn mit einem ganzen Rudel um. Sie knieten sich auf ihn und schlugen ihm ins Gesicht, bis er blutete. Als sie dann lose Ziegel aus dem Mauerwerk zogen, um ihn zu erschlagen, kehrte Ahmed mit einer Gruppe größerer Mitglieder der Bruderschaft zurück, um ihn zu retten. Die anderen trugen ihn dann ins Freie.
Ahmed hatte uns versichert, daß sich die Araber auf unsere Augen und Hoden stürzen würden, um uns zu verstümmeln. Wir hatten Spaß an der Gefahr gehabt und waren vorsichtig gewesen, aber daß einer von uns beinahe draufgegangen war, verdarb uns stark die Laune.
Die Bande folgte Ahmed nie wieder ins Arabergebiet. Er fragte auch nie wieder danach. Die arabischen Kinder hatten unsere Gänge gefunden und warteten auf uns.
Das war jetzt zwölf Jahre her, und vor einer Woche hatte man Ahmed beauftragt, in New York nach etwas zu suchen. Ich fragte mich, ob er versucht hatte, mit einem Bettlaken getarnt in Arabisch-Jordanien nachzusehen.
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