Der Esper und die Stadt
Kinder vielleicht zu Hause und aßen zu Mittag. Außerdem lief dann eine Fernsehserie – Lawrence von Arabien –, die sie sich möglicherweise ansehen wollten. Und wenn sie es nicht wollten, würden vielleicht ihre Eltern darauf bestehen, daß sie es sich ansahen. Natürlich würden die Araber gerne eine Serie sehen, die ihr Volk glorifizierte.
Um ein Uhr stieg ich voller Zuversicht in das Loch hinab. Es war leer. Ich brachte den Abflußkanal schnell hinter mich. Obwohl er jetzt viel kleiner wirkte, war er sauber und glänzte, weil man ihn so oft benutzt hatte. Ich eilte lautlos durch die Kellerräume und sah viele Ecken, die mir bekannt vorkamen. Alles war jetzt viel sauberer und weniger staubig. Offenbar hielten sich nun mehr Leute hier auf als früher. Die arabischen Kinder hatten einen Keller wieder in Ordnung gebracht, seine Decke mit Balken abgestützt und den Raum mit Lampen versehen. Mußte wohl ihr Geheimversteck sein. An den Wänden hingen Flaggen und ein Krummschwert.
Vielleicht hatten sie am Eingang sogar eine Alarmanlage aufgestellt, die sie warnte, wenn jemand hier eindrang. Ich peilte um die Ecke und suchte nach einer alten Geheimtür, die sie vielleicht noch nicht gefunden hatten, aber dann kam die ganze Kinderbande auch schon auf mich zugerannt. Sie waren barfuß, hatten aber Knüppel, Messer und Steine bei sich.
Sie schrien und blieben stehen. Ich schrie und ging weiter, weil die Biegung des nächsten Tunnels vor mir lag. Ein paar von ihren Anführern kamen auf mich zu und umzingelten mich. Einer von ihnen schlug mir mit einem schmutzigen Knüppel, in dem ein Nagel steckte, auf die Schulter. Ich war mir niemals sicher gewesen, aber nun fiel mir ein, daß ich der Junge gewesen war, den sie damals geschnappt hatten. Bei einer Sache, die übel ausgeht, vergesse ich immer sehr schnell, welche Rolle ich gespielt habe, weil ich auch die Gefühle der anderen spüre und lieber bei den Siegern bin. Als die Araberkinder mich schnappten, war ich acht Jahre alt. Ich hatte zwar meine Augen schützen können, aber meine Nase erinnerte sich noch genau daran, wie es ist, wenn sie eingeschlagen wird. Und ebenso wußten meine anderen Körperteile, daß man sie grün und blau geschlagen hatte. Diese Erinnerung war eine schmerzhafte Sache. Ich geriet dermaßen in Panik, daß ich plötzlich wieder die gleichen Kinder auf mich zurennen sah. Die Welt geriet ins Schwanken. Ich packte mir den Jungen, der mich mit dem Knüppel getroffen hatte und warf ihn gegen die anderen. Sie fielen um wie Kegelfiguren. Dann zog ich den Knüppel mit dem Nagel aus meiner Schulter. Der Nagel war rostig.
„Verrückte Araber!“ schrie ich, so daß die Wände meine Worte als Echo zurückwarfen. „Könnt ihr euch nicht wie Menschen aufführen?“ Ich nahm den Knüppel, duckte mich und ging brüllend auf sie los. Da zerstreuten sie sich und verschwanden wie ein Rudel verängstigter Ratten quiekend in den Gängen.
Ich hatte nicht viel Zeit. Bald würden sie mit ihren großen Brüdern zurückkommen. Auch die erwachsenen Araber standen auf Foltern. Ich lief brüllend durch einen Seitengang, damit sie dachten, ich würde jemanden verfolgen, und nicht auf die Idee kamen, daß ich türmte. Irgendwo war hier noch ein anderer Treppenaufgang. Wir hatten ihn zugemacht und die Tür mit Zement verputzt, so daß sie aussah wie festes Gestein. Die zwölf Jahre zwischen acht und zwanzig sind ein Leben, aber nicht für eine Holztür. Sie war noch immer da.
Ich langte nach dem Stein, der den Türknauf verdeckte, zog die Tür auf und glitt durch den Spalt, ehe er auch nur dreißig Zentimeter breit war. Auch auf der Rückseite der Tür gab es einen Knauf. Ich zog daran, riß die Tür ins Schloß und versperrte sie mit einem Riegel. Hoffentlich waren die Kinder
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