Der Esper und die Stadt
einzustimmen. Sein Messer steckte wieder in der Scheide.
Hisham drehte sich höflich zu ihm um. „Hat er dir eine gute Zukunft vorausgesagt, Selim?“
Selim machte ein finsteres Gesicht. „Er hat gelogen. Er hat sie alle hereingelegt. Er lügt sie alle an, um seinen Tod hinauszuzögern.“ Seine Worte führten dazu, daß die anderen sich bewegten, als würden sie etwas sagen wollen. Dann unterließen sie es aber doch.
Hisham lächelte seine Leute an. „Was setzt ihr dagegen, wenn ich behaupte, daß er mir die Zukunft vorhersagen kann, wenn ich ihm eine Wahrheitsdroge in die Vene jage?“
Seine Männer antworteten nicht. Der kleine, kahlköpfige, muskulöse Mann sagte auf arabisch etwas zu Selim, der sein erster Stellvertreter zu sein schien. Dann zog er eine Schachtel aus der Tasche und gab sie ihm. Dessen Stellvertreter reichte sie einem älteren Soldaten, der ihm Türrahmen herumlungerte und gab einen Befehl. Der Mann an der Tür trat vor, bohrte die Nadel der Spritze durch Ahmeds Hemd in seinen rechten Bizeps, drückte langsam die Kanüle hinab und kehrte an seinen Ausgangsort zurück.
Hisham, der Anführer der Männer, streckte die Hand aus und sagte etwas mit sanfter, verlangender Stimme. Er nahm die Spritze wieder an sich und untersuchte sie. „Gut.“ Zum ersten Mal sah der kahlköpfige Mann nun Ahmed an. Ahmed erwiderte seinen Blick. Seine Hände lagen flach auf der Tischplatte. Er hatte sich nicht bewegt, als der Mann mit der Spritze auf ihn zugegangen war. Hisham schenkte ihm ein freundliches Nicken und sagte: „Gefangener, man hat Ihnen gerade eine Wahrheitsdroge verabreicht. Zählen Sie von zwanzig an rückwärts.“
„Zwanzig, neunzehn, achtzehn, siffzehn, sechzehn, sechzehn, zwölf, neun …“ Ahmeds schlankes, stolzes Gesicht mit den schwarzen Augenbrauen sah semitischer aus als das der Araber. Er hörte auf.
Das lederartige Lächeln auf dem Gesicht des Führers wurde breiter. Er sah kurz die anderen an, dann beugte er sich zu Ahmed hinüber. „Und jetzt, unter dem Einfluß der Wahrheitsdroge, können Sie mir jetzt meine Zukunft weissagen?“
Ahmed sah auf die Tischplatte hinab. Er zog die biegbare Leselampe näher heran, schüttelte den Tisch, und kleine Sandhügel liefen durcheinander und zerliefen in alle Richtungen, weg vom Licht.
„Ich kann immer noch Biller schehen“, sagte er, „aber ich kenne Ihre Frage nischt … Verzeihung … Die Droge lähmt meine Schunge.“
Er sah auf, müde, mager, aber wachsam. Seinen Augen unter den dichten, schwarzen Brauen entging nichts. „Ich kann’s versuchen. Wollen Schie Vergangenheit, Gegenwart oder Schukunft?“
„Wundervoll! Ein Mensch mit einer Wahrheitsdroge im Blut, der mir trotzdem die Zukunft weissagen will“, sagte Hisham zu den anderen. Er wandte sich wieder Ahmed zu, als interessiere er sich brennend für ein Kinderspiel. Dann wechselte er die Position und nahm auf einem Kissen Platz, das Ahmed näher war. Selim war nun von ihm weiter entfernt. Lächelnd stellte er eine Frage, über die es gar nichts zu Lächeln gab. „Wahrsager, sag mir, warum die anderen zu reden aufhörten, als ich hereinkam.“
Die Araber hatten bisher lächelnd miteinander gemurmelt, aber diese Frage schien sie wie ein Keulenschlag zu treffen. Schlagartig verstummten sie.
Selim strahlte eine Welle aus Zorn und Haß ab. Er stand auf, massierte seine Hände, schätzte die Entfernung zu seinem Führer ab und fragte sich offensichtlich, ob die anderen den Status quo akzeptieren und ihm folgen würden, wenn Hisham tot wäre.
Akbar Hisham wandte sich um, damit die anderen sehen konnten, daß auf seiner offenen Handfläche ein kleiner Laser lag. Er schloß die Hand jedoch nicht.
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