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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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die glei­che Rich­tung. Da stand ein Mann, ein klei­ner, kahl wer­den­der Mann, der einen wei­ßen Um­hang mit pur­pur­nen Strei­fen trug. Er war ziem­lich mus­ku­lös und gleich­mä­ßig ge­bräunt. Er stand da, be­ob­ach­te­te und lausch­te. Da­bei nahm er ei­ne Po­se ein, die Wach­sam­keit und Selbst­be­wußt­sein zeig­te. Er sah die Män­ner ein­dring­lich an.
    Sie war­te­ten dar­auf, daß er sie zu­recht­wies, da er sie bei et­was er­wi­scht hat­te, für das sie ei­ne Stra­fe ver­dien­ten.
    Er lä­chel­te und sag­te: „Bringt ihn nicht um, Kin­der! Er hat mir noch nicht ge­weis­sagt.“
    Die Män­ner lach­ten und ent­spann­ten sich. Der Mann war Ak­bar His­ham, ihr Füh­rer.
    Im Ge­schichts­un­ter­richt in der 6B hat­te man uns ei­ne Vi­deoauf­zeich­nung von der acht­zehn Jah­re zu­rück­lie­gen­den An­kunft der Flücht­lin­ge in New York ge­zeigt. Wich­ti­ge Leu­te hat­ten sie will­kom­men ge­hei­ßen, und ei­ne Ka­pel­le hat­te ge­spielt. Ak­bar His­ham hat­te da­mals jün­ger aus­ge­se­hen. Er hat­te schwar­zes Haar ge­habt, nach dem Mi­kro­fon ge­grif­fen und hin­ein­ge­spro­chen.
    „Ihr bie­tet uns an, eu­re Brü­der zu wer­den“, hat­te er oh­ne zu lä­cheln ge­sagt. „Bru­der­schaft be­deu­tet, daß ihr das, was ihr habt, mit dem teilt, was wir ha­ben. Al­les, was wir je­doch tei­len kön­nen, sind Nie­der­la­ge, Un­ge­rech­tig­keit und De­mü­ti­gung. Das wer­den wir ei­nes Ta­ges tei­len, aber nennt uns nicht eu­re Brü­der. Wir sind eu­re Op­fer.“
    Das war ge­wiß nicht die freund­li­che Dan­kes­re­de, die man in New York er­war­tet hat­te, aber trotz­dem hat­te man die­sem Mann ge­gen­über, der es ge­wagt hat­te, ge­gen die Stadt Dro­hun­gen her­vor­zu­sto­ßen, ei­ne Mi­schung aus Ver­eh­rung und Über­ra­schung ver­spürt.
    Er war mit ei­nem Ver­spre­chen fort­ge­fah­ren: „Wir wer­den das Geld neh­men, das die Welt uns für den Dieb­stahl und den Ver­lust un­se­res Lan­des schul­det, und wer­den uns wie­der zu Stolz und Stär­ke er­zie­hen. Nehmt euch in acht vor der nächs­ten Ge­ne­ra­ti­on.“
    Jetzt war er äl­ter, zer­furch­ter und ver­knit­ter­ter, aber er war kei­nes­falls hei­te­rer als da­mals wäh­rend sei­ner Re­de. Ein Ru­del ge­schla­ge­ner und ver­bit­ter­ter Krie­ger führt man auch nicht mit freund­li­cher Zu­vor­kom­men­heit. Und doch war Ak­bar His­ham ein welt­be­kann­ter Ge­lehr­ter und His­to­ri­ker. Den an­de­ren Ge­lehr­ten und sons­ti­gen An­ge­hö­ri­gen der ge­bil­de­ten Schicht hat­te man er­laubt, wei­ter in ih­ren be­setz­ten Ge­bie­ten zu le­ben, so­fern sie nicht in an­de­re Län­der ge­zo­gen wa­ren und dort Ar­beit an­ge­nom­men hat­ten. Nur Ak­bar His­ham hat­te sich da­zu ent­schie­den, mit den Flücht­lin­gen zu ge­hen und für ih­re Rech­te zu kämp­fen.
    Er nahm lä­chelnd auf ei­nem Le­der­kis­sen Platz. Ich sah sei­nen kah­len Hin­ter­kopf. „Ich ha­be ge­hört, daß der Ge­fan­ge­ne mit dem Kopf­schmuck ei­nes ira­ki­schen Be­su­chers und ei­ner Po­li­zei­mar­ke in der Ta­sche her­ein­kam. Er soll we­der sei­ne Na­tio­na­li­tät be­wei­sen kön­nen noch Ara­bisch spre­chen. Und man hat ihn ge­schnappt, als er im äu­ße­ren Bü­ro die Post durch­wühl­te. Wie stüm­per­haft!“
    „Er ist ver­rückt, Ef­fen­di. Als wir ihn schnapp­ten, ge­bär­de­te er sich wie ein Ir­rer und fa­sel­te, er kön­ne die Zu­kunft se­hen, weil er bald ster­ben müs­se. Er er­zähl­te dem Mann, der ihn fing, et­was über des­sen Ver­gan­gen­heit. Und dann sag­te er, er wer­de sehr reich wer­den.“
    His­ham nick­te. „Ich ha­be schon ge­hört, daß er euch gut an der Na­se her­um­ge­führt hat.“
    Die Män­ner pro­tes­tier­ten. „Er sieht Bil­der im Sand.“ – „Er hat mir mei­ne Ver­gan­gen­heit er­zählt.“ – Sie lob­ten Ah­meds Fä­hig­kei­ten als Wahr­sa­ger ge­ra­de­zu in den Him­mel.
    „Auch die Frau­en sa­gen, daß er die Wahr­heit ge­sagt hat.“ Sie ver­such­ten His­ham um­zu­stim­men.
    Nur Se­lim, der Mann, der Ah­med hat­te tö­ten wol­len, saß mit ei­nem mür­ri­schen Ge­sicht ne­ben sei­nem Füh­rer, oh­ne in den Chor der an­de­ren

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