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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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nach­denk­lich auf den Knopf und ließ ihn wie­der los. „Zi­geu­ner-Ah­med, warum schreist oder stöhnst du nicht, wenn wir auf den Knopf drücken?“
    „Wü­tend macht ihr mich“, er­wi­der­te der große Bur­sche, der mein Freund war. Sei­ne Ge­sichts­haut sah grün­lich aus und war schweiß­be­deckt, aber er saß im­mer noch auf­recht. Nun reck­te er sich. Er saß hin­ter dem Tisch, auf dem sei­ne Hän­de im Sand ruh­ten, und warf einen ab­schät­zi­gen Blick auf die im Zim­mer ver­sam­mel­ten Män­ner. Er sah zwar nicht ge­ra­de fins­ter aus, aber lä­cheln tat er auch nicht. „Ihr al­le macht mich sehr wü­tend.“
    Sei­ne Ant­wort ge­fiel mir. So was Ähn­li­ches hät­te ich auch ge­sagt. Wenn man Ah­med frag­te, warum er dies oder je­nes ge­tan hat­te, fie­len sei­ne Ant­wor­ten im­mer lo­gisch aus. Das war al­so ein glat­ter Tref­fer für die Wahr­heits­dro­ge.
    Ah­med hat­te den an­de­ren Kin­dern aus der UN-Bru­der­schaft auch nie er­zählt, wel­chem Volk er an­ge­hör­te. Er hat­te im­mer nur ge­sagt, er sei ein Mensch. Und jetzt hat­te er ge­sagt, er sei Fran­zo­se und Zi­geu­ner. Ein zwei­ter Tref­fer für die Wahr­heits­dro­ge. Als zwei Män­ner den Leich­nam des ehe­ma­li­gen Thron­an­wär­ters hin­austru­gen, ver­lor His­ham of­fen­bar jeg­li­ches In­ter­es­se an ei­ner Exe­ku­ti­on. Er wand­te sich Ah­med zu und frag­te neu­gie­rig: „Be­treibst du als Zi­geu­ner die Wahr­sa­ge­rei? Glaubst du an sie?“
    „Ei­ne ein­fa­che Ant­wort ist dar­auf nicht mög­lich“, ant­wor­te­te Ah­med nach ei­ner mü­den Pau­se. Er zog die Lam­pe her­ab, bis sie den Sand bes­ser be­leuch­te­te, und schüt­tel­te den Tisch. Der Sand zer­fiel in neue Mus­ter, und lan­ge Schat­ten­strei­fen lie­fen von den Häuf­chen weg. Mit träu­me­ri­scher, geis­tes­ab­we­sen­der Stim­me sag­te Ah­med: „Er­eig­nis­se sind ele­men­tar. Al­le Ge­dan­ken, Er­in­ne­run­gen und Über­zeu­gun­gen sind nur teil­wei­se für sie ver­ant­wort­lich. Wenn ich dem Ver­lauf der Schat­ten fol­ge oder Kar­ten le­ge, drin­gen so­fort vie­le In­ter­pre­ta­ti­ons­mög­lich­kei­ten in mich ein, wie die Er­geb­nis­se zu deu­ten sind. Wirft die Zu­kunft ih­re Schat­ten vor­aus? Sind die Schat­ten, die ich in mei­nem oder im Grup­pen­be­wußt­sein der Mensch­heit se­he, Bil­der? Zei­gen die klei­nen Er­eig­nis­se am Ran­de, wie die Mus­ter des San­des, ein ge­wal­ti­ges Er­eig­nis an, das im­mer grö­ßer wird und die Zu­kunft formt? Oder hat die Jung­sche Ana­ly­se recht, wo­nach die schöp­fe­ri­sche In­tel­li­genz sich in die Traum­welt nächt­li­chen Schlafs und pri­mi­ti­ver Er­in­ne­run­gen zu­rück­ge­zo­gen hat, wo aus Träu­men Plä­ne wer­den, die das ge­sam­te Ras­sen­be­wußt­sein durch Schlaf­te­le­pa­thie trei­ben läßt und die Zu­kunft an­hand von Traum­plä­nen di­ri­giert?“
    „Hmm.“ Ak­bar His­ham, der nun saß, beug­te sich vor und stütz­te sein Kinn auf die Hand, um wei­ter zu­zu­hö­ren. „Hmm.“ Plötz­lich dreh­te er sich um und sah in die re­spekt­voll-lee­ren Ge­sich­ter der ara­bi­schen Sol­da­ten. Sie hat­ten zwar nicht ver­stan­den, was Ah­med ge­sagt hat­te, aber sei­ne Wor­te hat­ten sie be­ein­druckt, wie der mys­ti­sche Ge­sang ei­ner frem­den Spra­che oder ein mit Zau­ber­wor­ten ge­spro­che­nes ma­gi­sches Bitt­ge­bet.
    Der klei­ne, mus­ku­lö­se Mann sah sie einen Mo­ment lang an und seufz­te. Dann schrie er: „Raus mit euch! Raus! Ich will mir mei­ne Zu­kunft weis­sa­gen las­sen. Ver­schwin­det! Und bleibt bloß nicht in der Nä­he!“ Er stand auf und jag­te die Män­ner mit hef­ti­gen Arm­be­we­gun­gen hin­aus. „Los, los. Ich will mir die Zu­kunft weis­sa­gen las­sen. Paßt auf, daß nie­mand die Bü­ros be­tritt und ich nicht von ir­gend­wel­chen Nar­ren oder Te­le­fon­ge­sprä­chen ge­stört wer­de. Be­eilt euch.“
    Die Män­ner ver­lie­ßen ei­lig den Raum. Als sie ge­gan­gen wa­ren, setz­te Ak­bar His­ham, der Ge­lehr­te und His­to­ri­ker, sich wie­der hin und rich­te­te den Sitz sei­nes Um­hangs, oh­ne Ah­med in die Au­gen zu se­hen. Er blick­te zu Bo­den, strich sich das nicht­vor­han­de­ne Haar glatt und

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