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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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pas­siert mir nichts. Die meis­ten Leu­te mö­gen mich und ha­ben nichts da­ge­gen, wenn ich mich im Ge­biet ih­rer Kom­mu­ne auf­hal­te. Ei­ne Ban­de weg­ge­lau­fe­ner Halb­wüch­si­ger war je­doch der Mei­nung ge­we­sen, daß es an der Zeit sei, end­lich mal zu zei­gen, wer hier der Herr im Hau­se war.
    Nach­dem sie mit dem Tre­ten fer­tig ge­we­sen wa­ren, hat­ten sie mich au­ßer­halb ih­res Ter­ri­to­ri­ums auf ei­nem Bür­ger­steig zu­rück­ge­las­sen und mir die Fin­ger mit chi­ne­si­schen Fes­sel­röh­ren an die Ze­hen ge­bun­den. Es dau­er­te ei­ne ge­wis­se Zeit, bis ich mich be­frei­en konn­te und zur Kar­mi­schen Bru­der­schaft run­ter­ging, um in de­ren Kom­mu­ne zu schla­fen.
    Die Brü­der im Vor­der­zim­mer sag­ten, ich wür­de ei­ne wich­ti­ge Grup­pen­me­di­ta­ti­on stö­ren, da ich schlech­te Vi­bra­tio­nen aus­strah­le und be­sorgt sei. Dann ga­ben sie mir ei­ne Tas­se Tee und scho­ben mich mit­samt mei­nem Schlaf­sack hin­aus. Mich ziem­lich un­ge­liebt füh­lend, mar­schier­te ich los und fing an, mir die Steif­heit aus den Mus­keln zu mas­sie­ren. Ich muß­te ir­gend­was Spa­ßi­ges tun, um wie­der gu­te Lau­ne zu krie­gen. Ich ver­ließ den Grün­gür­tel, um der Ret­tungs­bri­ga­de zu sa­gen, daß ich mir einen hal­b­en Tag frei­nahm.
    Als die Son­ne hoch am Him­mel stand, klet­ter­te ich den Ost­turm der Ge­or­ge-Wa­shing­ton-Brücke hin­auf. Ich nahm da­bei die har­te Tour über die Ver­stre­bun­gen, klam­mer­te mich mit nack­ten Hän­den und Fü­ßen an, klet­ter­te an her­ab­hän­gen­den Ka­beln hin­auf und setz­te mich ab und zu ir­gend­wo­hin, um das Glit­zern der Son­ne auf dem Was­ser zu be­ob­ach­ten, das über drei­ßig Me­ter tief un­ter mir lag. Große Schif­fe glit­ten auf dem Was­ser da­hin und sa­hen aus wie Spiel­zeu­ge.
    Der Wind blies ge­gen mei­ne Haut. Manch­mal war er warm, dann wie­der kalt und feucht. Ich sah ei­nem Wol­ken­tep­pich zu, der von Sü­den her über den Fluß trieb; er ver­dun­kel­te die Tür­me großer Ge­bäu­de, wur­de zu ei­ner dun­kelblau­en In­sel auf dem hel­len Blau des Flus­ses, kam nä­her und wur­de grö­ßer. Dann lag ei­ne lan­ge Zeit ein küh­ler Schat­ten über der Brücke, und ich sah auf und be­ob­ach­te­te, wie sich zwi­schen mich und die Son­ne ei­ne dunkle Wat­te­wol­ke schob.
    Die Wol­ke zog wei­ter, und das Licht gleiß­te. Ich schau­te weg, hat­te plötz­lich schwar­ze Punk­te vor den Au­gen und sah zu, wie der Wol­ken­schat­ten im Wes­ten auf ei­ne gi­gan­ti­sche Klip­pe zu­steu­er­te und hin­ter de­rem höchs­ten Punkt ver­schwand. Ich such­te mir einen Weg über einen stei­len, ab­schüs­si­gen Trä­ger und be­weg­te mich äu­ßerst vor­sich­tig, weil die Punk­te im­mer noch vor mei­nen Au­gen wa­ren. Tief un­ter mir er­klan­gen die ste­ti­gen Ver­kehrs­ge­räusche von dem wei­ßen Band der un­ters­ten Ebe­ne der Brücken­stra­ße. Die Rad­fah­rer auf der obers­ten Ebe­ne ra­del­ten vor­bei wie Amei­sen.
    In der Fer­ne stieg mit flat­tern­den Schwin­gen ei­ne Mö­we auf und kam auf mich zu. Sie fand einen Auf­wind und ließ sich mit aus­ge­brei­te­ten Schwin­gen trei­ben. Sie be­weg­te sich nicht und blieb schwe­bend vor mir ste­hen, mit hüb­schen wei­ßen Flü­geln, ei­nem sar­do­nisch­zy­ni­schen Kopf mit nach un­ten ge­rich­te­tem Schna­bel und aus­drucks­los mus­tern­den Au­gen.
    Es reiz­te mich, die Hand aus­zu­stre­cken und zu­zu­pa­cken. Ich ver­la­ger­te den Griff ei­ner Hand auf der Quer­ver­stre­bung und schwang ein Knie über den Trä­ger.
    Die Mö­we rich­te­te die Spit­zen ih­rer Schwin­gen nach un­ten, stieg auf und ent­fern­te sich wie­der. Sie war jetzt et­was wei­ter weg.
    Schließ­lich wur­de mir klar, daß ich nicht dumm ge­nug war, um mich von ei­ner Mö­we her­ein­le­gen und von der Brücke stür­zen zu las­sen.
    Die Mö­we kipp­te zur Sei­te, jag­te einen lan­gen, un­sicht­ba­ren Ab­hang hin­ab und kreisch­te: „Krie! Ha, ha, ha. Ha, ha, ha …“ Es klang wie ein Ge­läch­ter. Ich hoff­te, sie wür­de zu­rück­kom­men und sich mit mir an­freun­den, aber ich hat­te noch nie da­von ge­hört, daß je­mand Freund­schaft mit ei­ner

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