Der Eunuch
alle dem Befehl des Erhabenen. Festungen und Lande gehören Euer Majestät, und gesetzlich ist es nicht erlaubt, dem Feinde auch nur eine Spanne Landes abzutreten. Aber um die Ruhe der Diener Gottes und der Untertanen zu sichern, kann die Zurückgabe einiger Orte aus bloßer Huld und Gnade, als ein Geschenk kaiserlicher Großmut und Freigiebigkeit betrachtet werden.“ Damit wandte er sich an die anwesenden hohen Geistlichen, die beiden Kadiaskere, die Oberstlandrichter des Reiches und die Scheich-Imame der großen Moscheen. „Ist es nicht so, meine Herren?“ Sie bejahten im Chor.
Mahmud aber blieb hart und erwiderte nichts. Unbewegten Gesichts verließ er, von den Herren der Achsel gehalten und geleitet, durch die Reihen seiner zu Boden gesunkenen Untertanen den Saal.
In der Mitte des Fastenmonats Ramadan befanden sich etwa die gleichen Herren wie die des Thronrates wiederum vor dem Padischah und dem kaiserlichen Hof, dieses Mal allerdings im Köschk der Sofas und zu einem anderen Zweck. Es war der Tag der öffentlichen Ausstellung des Prophetenmantels, der Borda. Großwesir und Mufti hatten das allerheiligste Kleid bereits in frommer Verehrung mit den Augenbrauen berührt.
Beide waren guter Dinge und fühlten sich - die höchste weltliche und die höchste geistliche Macht - kraft ihrer freundschaftlichen, gegenseitigen Unterstützung als Herren der Lage. Genau die gleiche Konstellation habe zu Zeiten Ahmeds III. das langjährige Großwesirat Ibrahim Paschas ergeben, und keiner von beiden zweifelte an einem gleichfalls langjährigen Großwesirat Osman Paschas. Unstimmigkeiten haben gelegentlich auch mit Ahmed III. bestanden, und die würden unter seinem jungen Neffen, ob das durchgesickerte Gerücht nun auf Wahrheit beruhe oder nicht, sich ebenfalls hin und wieder ereignen. Unmittelbar nach der zwei Wochen zurückliegenden Thronratssitzung hatte der Padischah sich nämlich zu seiner erlauchten Mutter ins Alte Serail begeben, und bei ihr solle Mahmud, so lautete das Gerücht, in unkaiserlicher Hast mehrere Male den Papageiensaal durchrast und dabei böse Worte gegen die Wesire ausgestoßen haben. Erst nach einer Weile sei der Höchsterlauchten und dem Kislar Aga gelungen, ihn zu besänftigen. Nun ja, dachte Osman, dafür sei ein Kislar Aga eben da. Er nahm sich vor, die Interessen dieses brauchbaren Haremsdieners fürderhin nach Möglichkeit wahrzunehmen. Denn das Wagnis der Thronratssitzung sei geglückt, noch immer sei er - jetzt nach zwei Wochen - im Besitz des Siegels, ein Beweis dafür, daß der Kaiser gar nicht daran denke, es ihm, dem Unentbehrlichen, zu nehmen.
Inzwischen war der Hof abgetreten. Nur die Wesire standen noch da. Der Großwesir gab seinen Amtsbrüdern mit dem Kopf ein Zeichen, sich ebenfalls zu entfernen und, wie vorgesehen, beim Köschk von Eriwan Aufstellung zu nehmen. Er selbst wartete noch auf den Silihdar, den Schwertträger, der ihm nach dem Zeremonial unter die Achseln zu greifen hatte. Der Silihdar kam auch, entschuldigte sich aber mit Altersschwäche, so daß Osman Pascha auf diesen Ehrendienst verzichten mußte. Doch beim Köschk von Eriwan war ihres Bleibens ebenfalls nicht. Ihnen wurde bedeutet, daß der Padischah auf seinem Weg in den Beschneidungssaal hier vorbeikommen würde und die Herren sich ins Innere des Gebäudes begeben möchten.
Dort geschah es dann.
Der Silihdar kehrte zurück und forderte dem Grobwesir das Siegel ab. Osman wurde nicht gestattet, noch einmal seinen Palast aufzusuchen. So, wie er ging und stand, mußte er die Galeere besteigen, die am Hafen schon bereit lag, um ihn nach Kalchedon zu bringen. Mufti und Kapudan teilten sein Los.
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„Verstehen Sie diese Politik?“
„Man sollte glauben, wenn der Großwesir abgesetzt ist, müsse auch der persische Friede, den er doch ..."
„Der Friede, der, zugegeben, für Persien viel zu günstig ist.. .“ „Und nun wird er angenommen, und der Großwesir, der ihn vertrat, muß im gleichen Augenblick das Siegel abgeben.“
„Nicht einmal eine Statthalterschaft hat Osman bekommen. Als einfacher Privatmann nach Kalchedon verwiesen!“
„Gar keine so häßliche Gegend übrigens . . .“
„Aber zum Sterben langweilig!“
Mehr Laute und Ausrufe, als Sätze waren es, die im Gespräch ungeregelt durcheinander wirbelten, einem Strudel in einem dahinströmenden Gewässer zu vergleichen, bis es dann wieder seinen Weg auf eine gemächlichere Art weiter verfolgte. Da es sich um wohlerzogene Leute handelte, kam
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