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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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unterwürfig gehalten und geleitet - sich auf dem Sitz der Herrschaft niedergelassen und wie aus weiter Ferne das Aufklirren des Stabes seines Tschauschbaschi, seines Reichsmarschalls, gehört. Dieses dreimalige Klirren war für die Liegenden das Zeichen gewesen, die Augen erheben und sich ebenfalls setzen zu dürfen. Und immer nodi schwieg Mahmud, den Bogen mit dem pfeilgespickten Kodier und die Keule vor sich, er als einzig Bewaffneter mit dem heiligen Säbel Osmans, dem Symbol seiner legitimen Herrschaft über zwei Weltteile, umgürtet. Alles, die Farbenpracht der Gewänder, die Umrisse der Symbole, alles war für das Auge gerichtet, nur eines nidit: das ,Auge des Reiches“. Das kleine Fenster im Hintergrund ließ sich auf den großen Soliman zurückführen. Dort hatte, um an der Sitzung der Kuppel ungesehen teilzunehmen, der Herrscher gesessen, dort die Kaiserin Roxelane, als der Gesandte Franz’ von Frankreich zum ersten Male in Audienz empfangen worden war, dort so manche Dame, so mancher Würdenträger, meist Verschnittene, die Macht gehabt hatten im Hause Osman. Jetzt saß dort der Unsichtbarste der Unsichtbaren, jetzt saß dort Beschir.
    Schweigend ließ der Kaiser Mahmud seine Blicke über die Sichtbaren gleiten. Er war sich völlig klar über sie. So wie er hereingekommen war und hier saß, so war es ihm von ihnen zugedacht, ohne ein Wort geredet zu haben, das Köschk auch wieder zu verlassen. Hinterher würde sein Großwesir dann den allerhöchsten Beschluß formulieren und verkünden, und noch später würde er selbst erfahren, was er beschlossen hatte.
    Er kannte nicht jeden der Männer vor ihm genau, aber einige doch genug, um sich ungefähr ausrechnen zu können, wieviel jeder einzelne wohl von Villeneuve bekommen habe, um die ihm überwiesene Rolle in diesem Schauspiel korrekt herunterzuspielen. Die Bestechung sei offenbar nicht auszurotten, dachte er, und der Großwesir könne höchstens dafür sorgen, daß die Gelder zuletzt in den Schatz flössen. In diesem Fall französisches Geld für den osmanischen Schatz. Fleißige Bienen seien die Bestochenen, denen der Honig schon rechtzeitig abgenommen werden würde, spätestens bei Amtsentsetzung. Mahmud war noch jung genug, daß ihm dieser Gedanke bei allem Unmut eine bittersüße Freude bereitete. Seine Heiligkeit der Mufti Abdullah Paschmakdschischade, der Schustersohn, der sich so wacker gegen die Meuterer gehalten habe und im weißen Kaftan seines höchsten geistlichen Amtes auf seinem Ehrenplatz sitze, hätte gar nicht mehr als den Schusterverstand seines Vaters gebraucht, um einer derartigen Unannehmlichkeit zu entgehen. Aber es sei wohl ein Gesetz, daß mit der Macht und dem Geld der Verstand sich zur Primitivität verflüchtige und der Blick für das, was über den eigenen, direkten Vorteil hinausreiche, sich trübe. Diese Gedanken konnten es nicht hindern, daß Mahmud im Augenblick einer wichtigen Reichsentscheidung sich des Mädchens in der Druckerei erinnerte. Die sei nicht zu bestechen gewesen — nicht einmal von ihm.
    Trotz seinem langen Schweigen hatte sich die Stille nur vertieft. Jetzt bewegte der Kaiser kaum wahrnehmbar die Hand, und sofort begann eine laute, hallende Stimme, der es zukam, an seiner Stelle die Beratung zu eröffnen, die nach dem Willen des Erhabenen dem Friedensschluß mit Persien gewidmet sei. Daß der Erhabene diesen seinen Willen etwa selbst kundtun könne, kam nach dem Beispiel byzantinischer Basileen auch für einen osmanischen Kaiser nicht in Frage. Darauf las der Reisefendi, der Außenminister Ibrahim, den Bericht des Seraskers Ahmed Pascha von Bagdad vor, die Übersetzung des persischen Schreibens und zuletzt die Urkunde des abzuschließenden Friedens.
    Und nun geschah das Unerwartete: Mahmud I. ergriff in eigener Person das Wort.
    „Unsere Diener!“ sagte er. „Wir ermahnen euch, allen näheren Umständen mit Fleiß nachzugehen und nichts zu übersehen. Unsere Hohe Pforte stimmte den persischen Verhandlungen nur unter der Bedingung zu, daß Unseren Truppen, den Löwen und Leoparden der Schlachten und eroberten Städte, durch sie kein Vorteil entwunden würde, insbesondere auch nicht der Vorteil ihrer freien Bewegung und künftiger Eroberungen. Sollen Wir nur darum an Ali Pascha Ehrenpelz und Ehrensäbel mit Unserem belobenden Hatti Scherif übersandt haben, um jetzt Urmia und Täbris gering zu achten, wegen deren Eroberung Wir ihn belobten?“
    Alles schwieg. Eine lange Pause mußte verstreichen, ehe nach

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