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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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Österreich die Ungarn noch einmal unter seinen Fahnen zum Aufstand bringen werde. An der Vorbereitung dieses Aufstandes wurde in Rodosto Jahr für Jahr gearbeitet. Welche Bedeutung würde der Fürst noch haben, wenn aus dem Krieg nichts werden sollte? Er würde ein Mann sein, der seine Zeit gehabt hätte. So aber war er der Mann der ungarischen Diversion, die Türken und Franzosen zum Siegen verhelfen sollte. Und nun sprach der Meister dieser Diversionspolitik, Desalleurs, so obenhin von Osmans Absetzung, die alles in Frage stellte? Der Fürst hatte ein Recht, gekränkt zu sein.
    Aber das Vergnügen, Herrn von Villeneuve in Schwierigkeiten zu wissen, war schließlich auch bei Desalleurs nicht ganz so groß, wie seine eigene Besorgnis.
    „Bei der Pforte konnte ich noch nichts erfahren“, lenkte er deshalb ein, „auch wissen Sie ja, wie vorsichtig ich sein muß, um meinem sehr verehrten Kollegen nicht ins Gehege zu kommen. Und dann: Der neue Großwesir ist ja noch gar nicht da. Eins jedoch, meine ich, könnte uns schon jetzt etwas sagen, nämlich daß Ali Pascha, zur Zeit der fähigste türkische Feldherr, das Siegel bekam. Ein Krieg gegen Persien und ein Krieg gegen die Deutschen sind zweierlei. In einem Krieg gegen die Deutschen hätte unter allen Umständen der Großwesir den Befehl zu übernehmen. In einem solchen Fall war es aber geradezu geboten, daß der amtierende Großwesir zugleich auch der beste General ist, über den die Pforte verfügt.“
    „Ganz recht, Desalleurs, so ist es!“ rief die Zay, „Hoheit sollten sich nicht alterieren.“
    „Gewiß nidit, meine Liebe“, sagte der Fürst, „mir ist nur nicht ganz klar, warum - wenn Exzellenz, wie ich hoffe, recht haben - Topal Osman mit den Zeichen einer so sichtbaren Ungnade entlassen wurde?“
    „Er ist doch mit Paschmakdschisade befreundet“, warf die kleine Gika ein.
    „Was hat der Mufti mit dem Großwesir . . .“
    „Die gnädige Frau hat recht“, sagte Desalleurs. „Wir kennen doch Paschmakdschisade. Ein tapferer alter Mann, aber grob. Als Patrona Chalil auf der Höhe seiner Macht stand, hat Paschmakdschisade seinen Leuten Prügel angedroht, wenn sie sich mit dem Kerl einlassen würden. Ein Glück für ihn, daß es mit Patrona so schnell zu Ende kam, sonst hätte es dem Alten nodi schlecht gehen können. Ich möchte sagen, es geht ihm glänzend, wenn man bedenkt, was das alte, gelehrte Rauhbein alles über Seine Majestät gesagt hat. Nebenbei bemerkt: Ohne jede Berechtigung. Und dennoch ist er nur abgesetzt und nicht einmal verbannt.“
    „Wie denken Sie darüber, Herr von Bohn?“ fragte der Fürst mit unverkennbarer Achtung vor dem Angesprochenen.
    „Wir haben durch Exzellenz eine glaubhafte Begründung für Topal
    Osmans Absetzung und für Ali Paschas Berufung erhalten, woraus auf eine türkische Politik mit Frankreich gegen die Deutschen zu schließen wäre.“
    Die ganze Zeit hatte Julienne, die man in diesem Kreis nur als eine Maurocordato kannte, sich aufs Beobachten beschränkt. Jetzt stieß sie vor.
    „Haben Sie dabei schon in Betracht gezogen, daß der Resident von Talmann inzwischen zum Internuntius erhoben wurde? Wenn ich nicht irre, hatte sich die Pforte bisher stets gesträubt.“
    Diese so ganz nebenbei geäußerte Frage erzeugte einen Wirbel. Die Nachricht war neu und in ihren Auswirkungen noch gar nicht zu übersehen.
    „Woher wissen Sie es?“ fragte Bohn geradezu.
    „Sie brauchen es nicht zu glauben“, erwiderte Julienne kurz. „Verzeihung, gnädige Frau ...“
    „Fräulein“, sagte sie.
    „. . . Prinzessin“, verbesserte er sich, „unmittelbar vor der Audienz erhielt Talmann die Mitteilung, daß die Pforte in seine Rangerhöhung willige ? “
    „Unmittelbar davor.“
    „Dann ist der Fall klar“, versicherte Bohn, „etwa zu gleicher Zeit wird Mustafa Aga in Wien empfangen, und der hat als zweiter Defterdar den höheren Rang. Es handelt sich also nur um die Gleichstellung Talmanns mit Mustafa“, schloß er mit einem Gehabe von Überlegenheit, das man ihm in diesem Kreis gewohnheitsmäßig zugestand.
    Julienne freilich nahm das nicht so selbstverständlich hin. Außerdem fühlte sie sich von Bohn geradezu bespäht und wollte wissen, was hinter seinem zur Schau getragenen Gesicht wohl zu finden sei. Um das zu erfahren, mußte sie ihn reizen - so viel wußte sie. Auf den Fürsten brauchte sie keine Rücksicht zu nehmen. Er war Schriftsteller oder bildete sich doch ein, es zu sein, und sie war vorsichtig

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