Der Eunuch
Worten des Großherrn ein Untertan sich vernehmen lassen konnte, und eigentlich gab es überhaupt nur zwei unter den Anwesenden, die es sich erlauben durften - das waren Seine Hoheit der Großwesir und Seine Heiligkeit der Mufti. In diesem Fall war es der Mufti, der sich als erster entschloß.
„Sprechen Sie“, sagte er zum Defterdar, dem Schatzmeister Emini Mohamed Efendi, „Sie von uns allen sind mit der ganzen Verhandlung am besten bekannt.“
Aber der Defterdar rückte nur, ohne ein Wort zu sprechen, verlegen auf dem Sofa hin und her. Er war für diesen unvorhergesehenen Fall nicht vorbereitet und zog es vor, den Eindruck zu erwecken, als fühle er sich zu gering, um Seiner allerhöchsten Majestät zu widersprechen. Erst durch einen Außenseiter, durch Firdewsi Seid Ebubekr Efendi wurde die Lage für die Wesire gerettet. Firdewsi war ,Seid‘, einer der Nachkommen des Propheten war er, die er als Emir ihrer Körperschaft vertrat. Wie sich Mahmud auch verhalten sollte, Seid würde Firdewsi immer bleiben, und das gab ihm die Dreistigkeit, in Gegenwart der Majestät so weit vorzutreten, daß er in halber Fußlänge den Teppich berührte. Alle, die es sahen, und es sahen alle, senkten aus Scham über sein Benehmen die Blicke zu Boden.
„Mein Padischah!“ rief er. „Sollen wir uns nach der Weise der Ungläubigen verhalten, der Teufelsanbeter? Denen ist kein Vertrag heilig. Der Ruhm Deiner Hohen Pforte aber war stets deren Treue zu ihren Verträgen. Die Unterhandlungen begannen nach der Schlacht auf der Ebene von Koridschan - Allah sei Dank für den Sieg! Was später geschah, war nur eine Folge dieses Sieges, und Ahmed Pascha von Bagdad hat recht. . .“
Jetzt tat der Mufti etwas, was nur er sich erlauben konnte und auch nur gegenüber dem Seid und im Gedenken an dessen Vermessenheit. Er unterbrach ihn, und das auf eine grobe Art, deren er fähig war und sich zuweilen sogar rühmte.
„He! Ebubekr!“ rief er. „Du junger Fant solltest gescheiter sein als ich Alter. Hast du den kaiserlichen Willen nicht erfaßt? Was vergeudest du Seiner Majestät Zeit mit Worten.“
Länger konnte der Großwesir nicht in Unnahbarkeit verharren. Da die Beratung eine militärische Angelegenheit betraf, war auch die Generalität geladen worden. An sie wandte sich Topal Osman mit der Aufforderung, ihre Meinung zu äußern, wobei er dem General der Dschebedschi, der Zeugschmiede, einen Wink gab, einen verhängnisvollen; denn der General sprach ebenfalls für die Annahme des vorliegenden Vertrages und begründete das unvorsichtigerweise mit der osmanischen Garantie der freien Königswahl in Polen, für deren Erfüllung dem Padischah gegebenenfalls alle seine Heere zur Verfügung stehen müßten. Villeneuve selbst hätte es nicht besser sagen können, und Mahmud I. wußte jetzt, daß er inmitten seines gesamten Thronrats allein war.
Zweifellos hielten die Herren ihren jungen Monarchen für einen unerfahrenen Prinzen und wähnten die wirkliche Macht in den Händen Topal Osmans. Schließlich müsse ja auch wieder eine Ordnung werden, wie sie unter Ahmed gewesen sei, als Ibrahim Pascha das Reich regiert habe. Man kannte Osman Paschas Vorliebe für Frankreich, und so sprach auf jeden Fall niemand gegen eine Politik, wie sie dadurch vorgezeichnet schien. Nicht einmal Mahmuds Hartnäckigkeit konnte diese erfahrenen Männer daran irremachen. Sie hatten es oft erlebt, daß Wesire zu sehr auf die Worte eines Padischahs gehört und zu wenig in den Zügen des Großwesirs gelesen hatten und dabei zu Fall gekommen waren. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, daß man den Großwesir, solange er im Amt war, regieren ließ. Osman war im Amt und blieb es auch, als Mahmud jetzt erklärte, daß er zuvor die Rückkehr seines Ersten Tschokadars abwarten wolle, den er zu Erkundungen an die Front gesandt habe. Inzwischen befahl er nochmalige Beratung im Palast des Großwesirs.
„Ich will“, schloß er, „daß Meine Diener, die Mein Brot essen, auch der abscheulichen Ketzerei der Perser gedenken. Nie werden sie Unsere Freunde sein. Sie sind Schiiten und verwerfen Unser Kalifat, das sich auf der Sunna gründet.“
Eigentlich war damit die Sitzung zu Ende, und nur ein so unbedenklicher Mann im höchsten geistlichen Amt, wie der gegenwärtige Mufti, konnte es wagen, noch etwas hinzuzufügen. Abdullah Paschmakdschisade, der überhaupt von Mahmud keine große Meinung hatte, wagte es.
„Glorreicher Padischah!“ sagte er, „unsere Nacken beugen sich
Weitere Kostenlose Bücher