Der Eunuch
einer eigenwilligen Eleganz erweckte, über deren Ursache sich die meisten nur nicht gleich schlüssig wurden.
Statt wie eine Karosse in den Innenhof zu fahren, hielt das Gefährt etwa dreißig Schritte entfernt auf der Straße.
Ganz in Schwarz mit ein wenig Weiß - das war der erste Eindruck von der Kleidung des Gastes, wie er nun in der Vorhalle stand. Der erste Gedanke, den er auslöste, war der an einen Geistlichen, der zweite der an einen meisterhaft bekleideten Herrn. Der Tuchrock scharf in die Hüfte geschnitten, aus der die Glocke schwungvoll herabfiel, darunter die langschößige Brokatweste, die durch sparsam eingewebte Silberfäden eine ganz leichte Aufhellung erfuhr, und darunter die Atlashosen, deren Schnitt gleich weit von Spannungen wie von allzu reichlichem Faltenwurf entfernt war - jeder Kavalier, der seine Erfolge in den Salons suchte, ohne ebensolchen Schneider zu haben, mußte beim Anblick derartiger Vollkommenheiten verzagen. Dazu kamen Jugend und gutes Aussehen und ein Friseur, der sich offenbar darauf verstand, eine Perücke locker auf die Schultern wehen zu lassen. Eins freilich fehlte: der Degen. Jeder mittlere Beamte trug ihn, aber dem Herrn in Schwarz war er in Wien verwehrt. Er mußte froh sein, daß er sich nicht, wie seine Religionsverwandten, einen gelben Lappen anheften mußte.
Dieser Umstand mochte die Ursache der sehr gemessenen Höflichkeit, fast Herablassung der Lakaien sein, die sich dem Gast Seiner Hoheit überlegen zu dünken schienen und ihm nicht einmal den Dreispitz abnahmen. Sie boten keinen Grund zu einer Beschwerde, doch auch keinen zu einem gepfefferten Trinkgeld - es sei denn, sie geschmeidiger zu machen. Dieser elegante Dreißiger, dem es auf einige Gulden nicht anzukommen brauchte, kannte jedoch die gelegentlich recht gegenteilige Wirkung von Trinkgeldern und gar allzu großer. Weltmann war er und weitgereist. In England nannte man ihn John Openham, und für seine englischen Freunde hieß er Jonny, in Holland war er Jan Openhem, in Frankreich Jean d’Openheimere, dasselbe in der
Türkei, woher er kam, um in Wien wieder als das zu gelten, was er war, als Josua oder Jesche Oppenheimer, der Enkel des großen Samuel Oppenheimer, ,Hofjud’ kaiserlicher Majestät' und ,Oberfaktor des Reiches', wie seine Titel gelautet hatten.
Der Alte hatte des Kaisers Kriege nicht weniger geführt, seine Siege nicht weniger erfochten als der Prinz. Ohne seine Kredite und Lieferungen hätte Eugen nicht marschieren und daher auch nicht siegen können, und oft war es nötig gewesen, den Vormarsch abzublasen, weil Samuel Oppenheimer erst seine Wechsel hatte einlösen müssen, ehe er imstande gewesen war, neue Lieferungen und neue Kredite zu gewähren.
Überall hatten die ansehnlichen Familien ihre Hausjuden und die Fürsten ihre Hofjuden, aber mit dem Haus Oppenheimer war noch heute kein anderes zu vergleichen. Der alte Samuel war in der Judenschaft so gut wie der Kaiser selbst gewesen. Und nun hatte der Enkel hinter dem Vater und Herrn Wertheimer, der nach Samuels Tod eingetreten war, wieder seinen Platz als Juniorteilhaber im Wiener Comptoir der Firma eingenommen.
Aus der Türkei war Jesche zurückgekehrt, und kein Tag verfloß, ohne daß der Prinz an die Türken gedacht hätte. Jede Nachricht über sie, jede Beobachtung über Geschehnisse und Zustände im Osmanischen Reich waren ihm wichtig, und wenn er eines Menschen habhaft wurde, den er abseits von jeder amtlichen Berichterstattung ausfragen konnte - der mußte heran. Josua Oppenheimer machte keine Ausnahme. Der Prinz, der ein höflicher Mann war, hatte ihn zu sich gebeten, was freilich so viel wie ein Befehl gewesen war. Josua Oppenheimer machte das allerdings wenig aus. Er fühlte keine Beklemmung, weil er nicht zum erstenmal den hohen Herrn sprechen würde, mit dem sein väterliches Haus so enge Beziehungen verbanden. Er kannte auch den Weg in die Bibliothek, so daß die Begleitung des Hausoffizianten im Grunde überflüssig gewesen wäre.
Es war bekannt, daß Seine Hoheit Männer der Wissenschaft oder Schriftsteller, also Leute, denen der Prinz eine, wie man fand, übertriebene Bedeutung beilegte, statt im großen Konferenzsaal gern in seiner Bibliothek empfing. Auch Jean Baptiste Rousseau hatte dort viele Male mit dem Prinzen zusammengesessen, und der Schauplatz der ersten Begegnung mit Leibniz war ebenfalls diese Bibliothek gewesen. So hätte denn der Juniorchef des Hauses Oppenheimer die Wahl des Raumes als Kompliment
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