Der Eunuch
für seine geistigen Interessen auffassen können. Wenn auch nicht als Schaffender, so war er doch als Genießer der Literatur eng verbunden. Aber so weit, sich das Kompliment einzubilden, ging Jesche Oppenheimers Eitelkeit nicht. Es müsse einen anderen Grund haben, dachte er. Sollte ...
Er hatte inzwischen die Bibliothek betreten, und beim Anblick der Dame, die er dort antraf, stutzte er - um sich dann augenblicks zu erinnern. Nur ein einziges Mal hatte er sie gesehen, und auch das nur flüchtig; aber es hatte ihm genügt, das Gesicht nicht zu vergessen. Sie sei eine große Dame, die inkognito reise, hatte man ihm berichtet. Mehr wußte er nicht. Auf den Gedanken an eine hochwürdige Kanonissin wäre er überhaupt nie gekommen. Zwar war sie dunkel gekleidet, aber doch mit dem unerläßlichen Ausschnitt, aus dem, schwarz unterstrichen, die weiße Haut des Halses und Brustansatzes wirksam hervortrat. Und der Reifrock fehlte natürlich auch nicht.
Tief verneigte er sich, so tief, daß er ihr kurzes, ihm als Gegengruß gewährtes Nicken nicht sah. Sie offenbar dachte beim Anblick des Mannes an keine frühere Begegnung. Aber leider hatte sie sich mit dem Arm voll Bücher, die sie zum Regal zurücktragen wollte, übernommen. Eins glitt heraus, und dann lagen alle auf dem schön ausgelegten Parkett. Der junge Millionär konnte sich gar nicht erst aus seiner Verbeugung wieder aufrichten und, um die Bücher aufzuheben, sich als höflicher Mann nur noch aufs Knie niederlassen.
„Ich bitte gnädige Frau, sich nicht zu bemühen“, sagte er.
Julienne lachte.
Es war schwer zu sagen, ob sie die Degenlosigkeit ihres Kavaliers geflissentlich übersah oder gar nicht bemerkte. Großen Eindruck hatte sie ihr auf keinen Fall gemacht. Genau genommen, empfand sie die Degen der europäischen Herren als kindisch und nicht nur als barbarisch. Im Osten schleppte kein freier Mann beständig sein Schlachtschwert mit sich herum. In Stambul habe man Kultur.
„Warum sollte ich mich bemühen, mein Herr? Sie scheinen es ja ganz allein zu schaffen. - Danke!“
In diesem Augenblick öffnete sich eine der Türen und schloß sich erst wieder nach dem Eintritt des kleinen, verkrümmten Männchens mit dem Totenkopf.
Jesche Oppenheimer erschrak. Er hatte den Prinzen weniger verfallen in der Erinnerung. Seine Verneigung bekam dadurch so etwas wie eine menschliche Bereitschaft für den Greis, der durch das gemeinsame Wirken mit Jesches Großvater das Idol der Familie Oppenheimer geworden war, während Julienne ihren Reifrock leicht anhob und einen Hofknicks andeutete, den der alte Herr auf eine Weise erwiderte, wie es ein Kornett auch nicht besser zusammengebracht hätte.
„Dies hier, meine Liebe“, sagte er, „ist Monsieur Oppenheimer, dessen väterlichem Haus ich manchen Succes verdanke.“ Und zu Jesche: „Die Baronesse von Andlaw.“
Aber man wolle sich doch lieber des Französischen bedienen, fuhr er dann fort. Er verspreche sich einiges von der Unterhaltung und möchte von ihr nichts missen. Zwar habe er sich immer für das Deutsche und besonders für dessen Einheitlichkeit im ganzen Reich eingesetzt, weil die einheitliche Sprache erste Voraussetzung einer großen Nation sei, aber selbst habe er es leider nicht dazu gebracht, sie so zu beherrschen, wie er sich das wünsche.
Von den Verhältnissen im Osmanischen Reich wußte er durch Julienne Näheres über den griechischen Streit wegen des Patriarchen. Er hoffte, daß beim Angriff einer christlichen Macht auf die Unterstützung der Griechen zu rechnen sei. Jetzt war es ihm darum zu tun, vom jungen Oppenheimer Genaueres über die türkisdien Juden und deren Lage zu erfahren. Aber davon äußerte er ebensowenig wie über Juliennes Aufenthalt in der Türkei und die dadurch gewonnene Möglichkeit, die Mitteilungen des jüdischen Herrn zu überprüfen.
Dies war es, was der Prinz erfuhr:
Trotz der Handelsbegabung der Griechen - gar nicht erst von den Armeniern, den gefürchteten Haien des Basars, zu reden - waren die meisten reichen Kaufleute Juden.
Das hatte mehrere Gründe.
Die eine Ursache gab den Juden auch im Abendland eine gewisse Stärke: es war das System des Hausjuden, das Bindungen schuf, die sich nicht allein auf den Umsatz beschränkten. Jeder Pascha hatte seinen Hausjuden und vor allem jede Dame ihren „Mestre ebree“, der um die intimsten Geheimnisse wußte und alle Geschäfte besorgte. Jede Bestechung, jede Ware ging durch irgendeine jüdische Hand. Juden dienten den
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