Der Eunuch
versichere Ihnen, ich werde nicht nachzuhelfen brauchen. Und dann stehen auch Ihre Abordnungen da, Mann für Mann schöne, heldenhafte Krieger - hilft ihnen alles nichts -'rüber kommen sie nicht. Und von unserer Seite kommt erst recht keiner. Können Sie sich eine schönere Gelegenheit für Ihre trefflichen Gerüchtemacher denken, die Sie doch gewiß drüben unterhalten, um die Erregung der Truppen zum Orkan anzublasen, und der heißt Aufstand und gewaltsamer Bruch der Sperre. Dann wird man den Bosporus mit Schiffen und Booten bedeckt sehen und in ihnen Gruppen und Scharen von Männern, die einmal Soldaten waren und es, wenn alles vorüber, auch wieder sein werden. Zu dieser Stunde aber werden sie ausgeschwärmt sein und jeder für sich und doch alle zusammen über Stambul herfallen, wie über eine eroberte Stadt. Und das, Hochwürden, wird Ihre Stunde sein.“
„Es könnte so kommen ..."
Doch jetzt ließ Beschir kein Überlegen mehr zu.
„Es wird so kommen. Die Boten an Ihre Leute drüben stellen Sie besser selbst. Ich sorge für Fahrzeuge bei Topchane, Top Kapu und Beschiktasch. Wenige Minuten bevor wir beginnen, stoßen sie von Land. Das wäre erledigt. Wen haben wir für die Revolte?“
„Ich wüßte da einen —meinte Sulali, nicht allzu entschlossen. „Sein Freund ist ein Mordskerl, er heißt Mußli und ist ihm sehr ergeben. Der Mann, den ich im Auge habe, ist ein . . .“
„Albaner“, half Beschir nach. „Er ist ein Landsmann von Ihnen und heißt Patrona Chalil. Sie sehen, wie gut wir uns verstehen, Efendi.
Chalil ist auf dem Wege hierher. Oder vielmehr...“ Beschir horchte... „er ist schon da. Aber lassen Sie mich mit ihm reden.“
Damit stand Beschir auf, schlug den Vorhang beiseite und stieß die Tür auf.
„Tritt ein, Janitschar.“
4
Bei der mäßigen Beleuchtung blitzten die goldenen Kugelknopfreihen zwar nicht wie bei der Parade, doch blinkten sie und der hohe Goldschild vorn an der Mütze immerhin wie Sterne an einem leicht bedeckten Himmel. Auch die Garde des Königs von Preußen, eines der deutschen Emire, hatte diese Schilde des pomphaften Eindrucks wegen nachgeahmt - allerdings ohne die gekreuzten Löffel, die im Augenblick nicht zu sehen waren. Das Dunkelblau des Rockes wirkte fast schwarz, um so mehr gleißten die weißen Kniehosen. Dafür waren die Beine nackt, ein ganz grober Verstoß gegen die militärische Kleiderordnung, doch gleich der beste Beweis für die gut revolutionäre Gesinnung des stolzen Kriegers. Seine Gefährlichkeit bezeugte der Krummsäbel an seiner Linken, während er seine lange Flinte zum Glück in der Kaserne gelassen hatte. Sie wäre in diesem beschränkten Raum nicht von Nutzen gewesen. Der Nackenschleier, der vom oberen Mützenrand herniederwallte, war ebenfalls nicht zu sehen, diese Erinnerung an die Einsegnung der militärischen Bruderschaft durch den heiligen Derwisch Begtasch. Unter Orkhan war das geschehen, vor gut vierhundert Jahren, und seitdem hatte sich an den Janitscharen nicht viel verändert. An ihren eisenbeschlagenen Sohlen sollten angeblich die Siege des Padischahs auch jetzt noch kleben. Ihr kräftiges Aufstampfen mit nachfolgender Erstarrung war jedenfalls die Ehrenbezeigung vor Vorgesetzten und in diesem Fall der Gruß an Männer, von denen der Grimmige noch immer nicht wußte, wie er mit ihnen daran sei. Hätte man ihm nicht gesagt, daß er Sulali Hasan oder Tschelebi, den feinen Herrn Hasan, der als verehrter Ulema auch ein frommer Herr Hasan sei, hier finden würde, wäre er gar nicht gekommen. Mit der Frömmigkeit hatte es Chalil überhaupt. Seine christliche Mutter war Nonne im albanischen Skutari, und seine beiden Brüder waren Franziskaner in Arta. Damit waren alle Voraussetzungen für ihn als frommen Moslim und Janitscharen gegeben.
Daß es angesichts der fortpflanzungsmäßig so stark eingeschränkten Möglichkeiten der werten Familie vor allem seine, Patrona Chalils, Pflicht sei, hier ausgleichend einzugreifen, war einem Manne seiner Qualitäten vollkommen klar. Und sein augenblicklicher Grimm war auch ganz berechtigt. Er rührte nämlich von den Schwierigkeiten her, die man ihm bei der Erfüllung dieser Aufgabe machte.
Auf einem so stattlichen Körper saß selbstverständlich auch ein Kopf, und der Kopf hatte ein Gesicht, das auf den ersten flüchtigen Blick hin aus einem Bart bestand - aus einem Schnurrbart. Chalil rechnete es sich zur Ehre an, daß er zu einer Oda gehörte, die jede andere Barttracht als ihrer
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