Der Eunuch
Zusammentreffen ein kleines Wunder. Weißt du auch, daß wir in Neuhäusel aneinander vorüberfuhren?“
Julienne dachte nach. „Neuhäusel haben wir nachts passiert. Ich habe damals im Wagen geschlafen.“
„Nicht die ganze Zeit. Hör zu: Du bist mit deinem ganzen Gefolge an mir vorübergebraust, wir dagegen hatten kurz vor Neuhäusel einen Achsenbruch und karrten mühselig hinterdrein. Als wir bei der Posthalterei ankamen, waren deine Leute gerade beim Pferdewechseln, und es war ein Glück, daß wir sie noch erwischten. Sie konnten uns mit einer Ersatzachse aushelfen. Schon das war ein Wunder. Und dann muß man sich das vorstellen: Wagen an Wagen standen wir da, keine von uns beiden hatte eine Ahnung von der andern!“
„Und weiter?“ drängte Julienne.
„Dann kamen die Männer mit der Achse, und ich mußte aussteigen. Dies aber war der Augenblick, da ich dein Gesicht am Wagenfenster erblickte. Beim Fackellicht der arbeitenden Männer sah ich es ganz deutlich. Ich schrie deinen Namen - das kannst du dir denken - und rannte hinterher, denn gleichzeitig hatten deine Pferde schon angezogen. Und dann, ja - dann warst du fort. Mein Liebster hat dich auch gesehen, und ich habe es ihm eingeschärft, sich sofort nach deiner Wohnung zu erkundigen, falls du ihm begegnen solltest. Nun aber ist es wirklich so gekommen!“
„In Wien hat er midi gesehen? Wo denn?“
„Beim Prinzen Eugen.“
„Wie? Der junge Oppenheimer? Aber der ist ja ..."
„Ich weiß, ein Jud. Schrecklich, nicht wahr?“
„Für midi nicht. Aber für dich habe ich Bedenken. Bist du nicht katholisch verheiratet?“
„Zay ist Protestant.“
„Dann könnte eure Ehe also geschieden werden?“
Paula lachte hellauf.
„Ich weiß, woran du denkst. Ich soll meinen Jesche heiraten? Aber Julienne! Einen Juden heiratet man nicht. Aber selbst, wenn ich wollte, seine Familie würde mich gar nicht nehmen. Ich habe so ein bißchen um die Ecke geguckt. Jüdische Familien sind halsstarriger und verschlossener als reichsgräfliche. Bei dem Gedanken, unter solchen Menschen leben zu müssen, graust mir.“ „Du lebst doch mit deinem Jesche - übrigens ein hübscher und gescheiter Mensch.“
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„Du bist lieb, das zu sagen, Julienne! Doch zu meinem offiziellen Geliebten kann ich ihn trotz allem nicht machen. Das können wir un3 beide nicht leisten - Jesche sich nicht mit mir, ich mir nicht mit ihm. Aber in einer noch so schönen Wohnung zu sitzen und immer nur auf ihn zu warten, habe ich auch keine Lust. Ein kleines Palais möchte ich schon haben, und ich kriege es auch. Doch das wäre ebenfalls langweilig, wenn ich nicht in die Wiener Gesellschaft komme. Schließlich bin ich aus einem gräflichen Haus, und Zay ist ungarischer Magnat.“
„Zugleich aber auch Rebell.“
„Was tut das? In Wien lebt eine ganze Reihe Rebellenfrauen, und fast alle verkehren bei Hofe. Die selige Fürstin Rakoczy gehörte auch zu ihnen. Entweder bekamen sie einen Teil ihrer Güter zurück, oder sie erhalten eine standesgemäße Rente. Dabei bin ich besser daran als die meisten; denn ich habe ohnedem Geld - von Jesche natürlich. Was mir noch fehlt, ist nur die Anerkennung, der Empfang bei Hofe, und dazu brauche ich eine Dame, die midi einführt. Eine Prinzessin Maurocordato wäre sehr schön gewesen. Man schmeichelt hier den griechischen Patriziern, weil man hofft, sie noch gegen die Türken gebrauchen zu können. Doch ein Fräulein von Andlaw - bester Uradel und Barone des römischen Reiches - ist auch nicht schlecht. Du kannst mir helfen, Thea - wirst du es tun, Julienne?“
Julienne sann nach.
„Wenn dir mit der Gräfin Batthany gedient ist...?“
„Die Batthany!“ rief Paula in Tönen höchsten Entzückens. „Die Freundin des Prinzen Eugen! Laß dich umarmen, Schatz!“
„Aber du vergißt nicht...", mahnte Julienne.
„Ich denke, wir kennen uns. Ich weiß doch genug von dir, von Elena und — von mir selbst natürlich auch. Aber hast du jemals davon zu hören bekommen? Und weswegen, glaubst du, stehe ich als kleines Putzmachermädel vor dir? Weil ich nicht wußte, ob ich dich nicht in Verlegenheit brächte und vorher kundschaften wollte.“
Auch Julienne sah in Paula keine Gefahr, wie sie in Konstantinopel
keine in ihr gesehen hatte. Doch dort hätte eine Indiskretion nicht so schwer gewogen wie in Wien.
„Also Verschwiegenheit“, sagte sie, „auch Jesche gegenüber.“ „Männern soll man überhaupt nichts anvertrauen“, erklärte Paula großartig.
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