Der Eunuch
unwürdig erachtete und diese Auffassung gegen den leisesten Zweifel mit Faust und Eisen zu vertreten bereit war. Das hatte irgendwann einmal einen Grund gehabt, aber der Grund war vergessen, der Schnurrbart geblieben. Natürlich hing Chalils Bart ihm an den Mundwinkeln so tief wie möglich hernieder, und es war ein prächtiger Bart. Denn da Chalil die Triebe seines Kinns nicht gänzlich verkommen lassen wollte, hatte er auf beiden Seiten je eine Locke stehen lassen, die nun, mit dem Lippenbart verschmolzen, eine beneidenswerte Länge ergaben. Jedenfalls drückten der Bart und die dichten schwarzen Brauen über den großen, weitstehenden Augen alles andere dieses Gesichtes in den Hintergrund. Bei genauerer Betrachtung jedoch hätte man von ihm nicht gewöhnliche Schlauheit, Entschlossenheit und Herrschsucht ablesen können. Ein Mann dieser Art konnte es weit bringen in Stambul, und wenn er dennoch nur Gemeiner war, so mußte das seinen Grund haben. Vielleicht war es diese Unterlippe und jener sinnliche Zug, der von Bereitschaft zu sentimentaler Hingabe, verbunden mit Brutalität sprach?
Dieser Mann stand nun vor seinem Landsmann Sulali Hasan. Denn daß da noch so eine Art Gespenst sei, gehe ihn nichts an, dachte er. Allein schon des Gespenstes Bartlosigkeit erregte seine ganze Verachtung und sagte ihm obendrein auch genug. Patrona gehörte nicht zu den feinen Leuten, die vor Eunuchen Respekt hatten.
Aber gerade dieses Gespenst redete als erster zu ihm.
„Du bist also Patrona Chalil, der Albaner?“ fragte Beschir. „Dein Landsmann, der hochwürdige Sulali Hasan Efendi, sprach mir von dir. Darum veranlaßte ich dein Kommen.“
Chalils Antwort befleißigte sich der Klarheit und Kürze. „Deinetwegen wär’ ich nicht gekommen“, sagte er.
„Höre, Chalil“, mischte sich Sulali ein, „du vergißt dich. Du sprichst mit einem sehr hohen Aga. Etwas höher als dein Janitscharenaga“, fügte er noch listig hinzu, um Beschir zu zeigen, was von Chalil zu erwarten sei.
Der Erfolg war durchschlagend.
„Mag er“, sagte Chalil, „mir genügt mein Aga, und das Gespenst hier soll froh sein, daß es mein Aga nicht ist. Gut sind wir Janitscharen nicht auf ihn zu sprechen. Wir haben ihn satt, ihn und überhaupt alle Agas.
„Sei kein Rüpel, Chalil“, versuchte Sulali ihn zu beschwichtigen. „Auf mich fällt es zurück. Ich bin dein Landsmann. Was soll mein hoher Gönner von mir denken?“
„Wenn der Herr da Hochwürdens Gönner ist“, sagte Chalil in einem Ton, als hätte er sich einen andern ausgesucht, „dann will ich nichts gesagt haben. Aber was so die Höhe ist, dachte ich immer: höher hinauf als Erster Richter in Stambul gehe es nimmer. Und daß Hochwürden Ihr Amt verloren haben - daran sind nur die Wesire der Kuppel schuld, vor allem Ibrahim Pascha und alle diese anderen Kerle im Diwan. Aber wir Janitscharen sind fromme Moslemin und geben den verehrten Ulema alle Ehren .. . wir werden nicht dulden . . . und wenn Hochwürdens Gönner . . .“
„Ich gehöre nicht zur Kuppel, nicht einmal zum Diwan“, beruhigte Beschir den Janitscharen.
„Der Herr ist eine hohe Exzellenz“, flüsterte Sulali.
Chalil erschrak. Denn er hatte eine Freundin, und von der wußte er etwas über die Verzwicktheiten des Zeremonials. Der Großwesir und der Tatarkhan waren Hoheiten. Exzellenzen gab es genug. Jeder Pascha bekam mit dem dritten Roßschweif das Prädikat, und so hatte ein Janitscharenaga es hin und wieder auch. Aber hohe Exzellenzen...
„Ich habe mir nie etwas zuschulden kommen lassen“, murrte Chalil, ohne ganz verbergen zu können, wie bestürzt er war, „niemals erhob ich meine Augen unziemlich zu ..
„Allah verdamme den, der so etwas behauptet“, fiel Beschir ein und flüsterte dann: „Außerdem hast du ja deine Rakije.“
Beim Hören dieses Namens war Chalils Bestürzung noch größer. Man konnte, wenn es auch nicht schön war, sich noch so schlecht benehmen, konnte fluchen und schimpfen, ja sogar sich betrinken, ohne als Janitschar deswegen sein Gesicht zu verlieren - eins aber durfte kein rechtgläubiger Mann: über Frauen durfte er mit einem andern Mann nicht reden und schon gar nicht über seine eigene. Chalil hatte es auch nicht getan, nicht einmal seinem Landsmann und geistlichen Berater Sulali gegenüber hatte er Rakije erwähnt. Er war in letzter Zeit nur zu oft von Amts wegen dazu veranlaßt worden, und immer waren Kummer und Zorn und das Gefühl der Entehrung das Ende gewesen. Und nun
Weitere Kostenlose Bücher