Der Eunuch
sprach dieser Fremde ihren Namen aus. „Ich gehe lieber“, sagte Chalil, brachte es aber nur bis zu einer Wendung.
„Und wie willst du hinauskommen?“ fragte nämlich Beschir.
„Dies hier bahnt mir den Weg“, erklärte Chalil und schlug an seinen Säbel.
„Nicht immer“, meinte Beschir. „Nein, Chalil, ich denke, du bleibst. Man kann hier hereinkommen, aber nur, wenn ich es so will, und ebenso bestimme ich Zeit und Art des Ausgangs. Ich lobe dich wegen deiner Scham, mein Freund, aber du vergaßest, daß ich darf, was andere nicht dürfen, und daß Sulali Efendi ein so frommer Mann ist, um alles zu heiligen, was er reden hört und spricht. Ich habe die Absicht, mit dir über Rakije zu reden und alles, was dazu gehört. Deswegen bist du hier. Fangen wir an.-Warum willst du sie heiraten?“ „Warum soll ich nicht?“ rief Chalil. „Ich lasse mich nicht von ihr trennen! “
„Ich sprach nicht von trennen, sondern von heiraten. Du kannst sie doch auch ohnedem behalten.“
„Sie will aber nicht! Sie will ehrbar sein wie die andern Frauen der Janitscharen. Nicht einmal die Kinder läßt man sie anfassen - jetzt, da sie schwanger ist!“
Sulali verschlug es die Rede. Er war überwältigt davon, wieviel Beschir wußte und wie tief er in das Leben der Menschen eindrang, deren er sich bedienen wollte. - Auch Beschir sprach nicht viel. Er glaubte, daß jetzt hören besser als reden sei.
„Erzähl uns von Rakije“, sagte er.
Rakije, an deren Schicksal eine hohe Person wie der Kislar Aga so viel Anteil nahm, war keineswegs eine purpurgeborene, kaiserliche Prinzessin und auch kein Mädchen, das Aussicht gehabt hätte, das Auge des Erhabenen auf sich zu lenken, sondern nur eine kleine Sklavin. Dem Rikiabdar Mahmud, dem kaiserlichen Steigbügelhalter Mahmud, also einem Hofmann von Rang, hatte sie gehört, und in seinem Harem hatte sie nach den Geboten des Korans in den ehrenwerten Verhältnissen eines dienenden Familienmitgliedes gelebt. Auf diese Weise hätte Rakije, in ihrer Stellung von allen, die sie kannten, gebilligt, durch ihren Herrn eines Tages mit einem Mann dienenden Standes verheiratet und dank Allahs Gnade mit Kindern gesegnet, ihr Leben unangefochten zu Ende leben können. Der Fall, daß die Reize ihres Leibes und ihres Gemütes ihr etwa eine höhere Laufbahn erschlossen hätten, wäre dabei keineswegs ausgeschlossen gewesen.
In dieser Lage hatte sich Rakije befunden, als ihr Herr gestorben und sein Erbe geteilt worden war. Zu ihrem Unglück war sie sein persönliches Eigentum gewesen und hatte keiner seiner Gemahlinnen gehört, was bei der Erbteilung Schwierigkeiten ergeben hatte, die kurzerhand durch ihre Freilassung gelöst worden waren.
„Wie war das mit der Freilassung“, mischte Sulali sich ein, „welche Mitgift gab man ihr?“
„Oh, Efendi! Nicht einen Asper bekam das Mädchen.“
„Das ist gegen den Koran. Der Prophet gebietet, einer freigelassenen Sklavin mitzuteilen von dem Eigenen. Die Erben hätten das Mädchen verkaufen, aber es nicht ohne Mitgift aus dem Hause jagen dürfen.“
„Verkaufen?“ Chalil lachte. „Ihr wäre wohler gewesen! Aber Hochwürden wissen doch: Einen Sklaven, eine Sklavin verkaufen? Das tun keine feinen Leute.“
„Aber einem Mädchen die Tür weisen, durch die sie viele Jahre ihres
Lebens aus und ein gegangen ist? He? Warum ist sie nicht zum Kadi gegangen? Jeder Naib hätte ihre Klage angenommen, und wenn der Handel ruchbar geworden wäre, hätte es dazu kommen können, daß eine höhere Instanz die Erbschaft wegen ungesetzlichen Verhaltens der Erben für den Schatz eingezogen hätte. Wenn sie vor meinem Polster erschienen wäre ..
Sulali war aufrichtig empört. Aber Rakije war eben nicht zum Kadi gegangen. Woher hätte sie wissen sollen, daß so etwas möglich gewesen wäre? Rakije hatte gehungert. Sie war viel zu jung und hübsch gewesen, daß die Bettler sie unter sich geduldet hätten, in diesem für die Religion geradezu unentbehrlichen Orden, weil Almosengeben doch die vornehmste Verpflichtung jedes Rechtgläubigen war. Sie hatte bald in irgendwelchen Ecken geschlafen, auch hatte sie nichts dagegen gehabt, wenn es zwischen den Hunden geschehen war, und hinterher hatte sie sich oft genug mit ihnen um einen Abfall gerauft. Sie war schrecklich dumm gewesen. Einiges hatte sie wohl gekonnt: Kochen und mit flinker Zunge um den Einkauf feilschen, die Polster richten und den Boden fegen, sogar nähen hatte sie gekonnt. Aber daß es den Beruf einer
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