Der Eunuch
Straßendirne gab, hatte sie nicht gewußt.
Da war eines Nachts in Gestalt eines Mannes von den Barbarenschiffen das Glück über sie gestolpert, als sie zwischen zwei Ballen am Kai geschlafen hatte. Der Fremde war nicht ganz so roh gewesen, hatte sie nicht nach Art dieser Leute zum Spaß mit Fußtritten bedacht. Der Mann hatte im Spiel gewonnen, dem Haufen Unrat, über den er gestolpert war, in seiner guten Laune etwas zukommen lassen wollen und dabei entdeckt, daß es sich vielleicht lohne, seinen Fund erst einmal zu waschen. Und da es ein kräftiger Mann gewesen war, hatte er sein Vorhaben allem Zeter und Geschrei zum Trotz auch durchgesetzt. Reue hatte er nachher nicht empfunden. Als er sie dann aber essen gesehen hatte, war er gerührt gewesen.
Einige Wochen hatte sie nun zu essen gehabt und war dankbar gewesen. Dann aber hatte der Fremde fort müssen, ihr aber nicht so viel hinterlassen können, daß es für die Zeit ihres Lebens gereicht hätte. Und so war es denn gekommen, wie es hatte kommen müssen, wobei sie dann eines Tages auf Patrona Chalil gestoßen war. Immer war er wiedergekommen, hatte sich ihretwegen sogar gerauft, und bald waren sie übereingekommen, zusammenzubleiben. Als verheirateter Janitschar hätte Chalil auf Dienstbefreiungen rechnen können, die ihm einen kleinen Handel oder ein Gewerbe erlaubt hätten, wie dem eines Spenglers, zu dem er sich hingezogen fühlte ... Jedenfalls waren beide entschlossen gewesen, ihren Wünschen gemäß einen bescheidenen Einfluß auf ihr eigenes Leben auszuüben, als das Unerwartete eingetreten war: Das Regiment hatte Chalil die Heiratserlaubnis verweigert.
Es war freilich nicht zu leugnen gewesen, daß Rakije, besonders im Anfang, ihrem Chalil hin und wieder etwas zugesteckt und er es genommen hatte, obwohl er doch hätte wissen können, woher ihr das Geld zugeflossen war. Aber das war ja vorbei! Und nur nach einem verlangte es Rakije: nicht schlechter zu sein als die andern Janitscharenweiber, die bestimmt nicht besser waren als sie. - Nicht die Kameraden machten die entstandenen Schwierigkeiten, schon gar nicht die ledigen, und die verheirateten ließen ihre Frauen reden und sagten in der Kaserne, was sie wollten. Auch hatte Chalil eine gewisse Gewalt über sie. Er wußte immer sofort, wenn bei den Offizieren etwas nicht in Ordnung war, und hielt damit nicht hinter dem Berge. Die Kameraden liebten ihn, wozu die Herren Vorgesetzten keine Veranlassung verspürten, weswegen sie von der Ehre des Regiments in einer Weise sprachen, als habe jeder Janitschar das Keuschheitsgelübde abgelegt, von dem er, wenn überhaupt, nur durch eine ganz reine Jungfrau erlöst werden könne.
So stand es, und Beschir mußte denken, daß es diesen Fall vor einem Jahr oder anderthalb nicht gegeben hätte. Wie viele Sittlichkeitswellen habe er kommen und gehen, steigen und fallen sehen! Es sei das Pech der drei hohen Herren, die er auf der andern Seite des Bosporus zurückgelassen habe, daß die Stambuler Sittlichkeit gerade in ihrem Zenit stehe; denn sonst hätte Patrona Chalil seine Rakije geheiratet, und wo nähme er, Beschir, dann seinen Revolutionär her? In diesem Augenblick war Beschir, wie er so den wütenden Chalil betrachtete, sehr für Sittlichkeit. Aber er hatte schon viele Flammen lodern sehen, die dann als Schnellbrand und Strohfeuer zusammengebrochen waren.
Mit Chalils Wut könne es sich ähnlich verhalten, dachte er mit gewohntem Mißtrauen. Man müsse etwas wagen, und wenn Chalil dann nicht versuchen werde, ihn, Beschir, eine hohe Exzellenz und Mann vieler Geheimnisse, zusammenzuhauen - dann sei es nichts mit Chalil.
„Mein Junge“, sagte er, „willst du wirklich deine Hand gegen deinen Padischah erheben, dessen Brot du ißt?“
„Ein Drecksbrot!“ schrie Chalil, „ein Schandbrot für den harten Dienst! Wenn du eine hohe Exzellenz bist, Mann, dann nimm doch mal die Musterrolle und laß die Regimenter antreten. In den Rollen stehen doppelt so viel Namen als Männer in Reih und Glied. Die andern sind Neffen, Brüder, Schuster, Schneider, Bekannte, Lakaien und Verwandte der großen Tiere, die Einfluß haben! Für die Rollen ist niemand zu stolz, für die Rollen geben sie gern ihren Namen her; denn alle bekommen sie ihren Sold, unsern Sold, während wir ihren Dienst für sie mitmachen müssen. Ist das Gerechtigkeit? Wir wollen einen gerechten Padischah. Einen löblichen!“
„Das willst du, das wollt ihr alle. Aber wenn es zum Schießen kommt, stehst du
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