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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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die Triebkraft seiner holländischen Tulpenzwiebeln, die er Stück für Stück eigenhändig und mit viel Sorgfalt in den Boden versenkte, um sie dann mit kleingesiebter Krafterde zu überdecken. Es geschah dies im Garten seines Landhauses zu Tschengelköi am Kanal neben dem des Reis Efendi, des Außenministers, der sich allerdings nicht dem mühseligen Einpflanzen von Tulpen, vielmehr dem hingab, womit er sich stets unangefochten zu behaupten gewußt hatte.
    Zweimal war er bereits Reis Efendi gewesen, um es unter Ibrahim Pascha ein drittes Mal zu werden. Aber auch ihm, seinem jetzigen Großwesir, war er in seiner nunmehr zehnjährigen dritten Amtstätigkeit nicht ein einziges Mal durch Tätigkeit lästig geworden.
    Es war also nicht anzunehmen, daß Suleiman Efendi sich ausgerechnet an diesem Morgen etwas denke, während Keinak Mustafa Pascha, der Großadmiral, immerhin bei der Betrachtung seiner Zwiebellieblinge mehr als einmal den Kopf schüttelte. Er dachte an den einzigen Übelstand der Köstlichen, an ihre schandbaren Preise. Alle Welt war verrückt nach Tulpen, was natürlich die Preise der Holländer in die Höhe trieb, deren nicht zu schlagende Tulpenzucht ihnen ein Monopol gab. Allah verdamme sie, wünschte der Pascha ihnen und fand es als Wesir wohl ganz richtig, daß der Schatz durch eine hohe Steuer das Abfließen guter türkischer Piaster einzuschränken trachte, hätte es aber als Keina Mustafa nicht ungern gesehen, wenn die Finanzer bei den höchsten Staatswürden eine kleine Ausnahme gemacht hätten, etwa vom dritten Roßschweif an; denn den hatte er.
    In diese stillen Vorfreuden an künftiger Blumenpracht, untermischt mit heimlichem Ärger über eine allzu raffige und filzige Finanz, brach Geschrei aus: „Meuterei! Die Janitscharen auf dem Fleischmarkt!“ Jeder Türke wäre bei diesem Schrei hellwach geworden, und Keinak Mustafa war nicht nur Türke, sondern auch Pascha und Wesir der Kuppel.
    „Wieviel Kessel?“ fragte er sachlich.
    „Fünf haben sie schon.“
    Mehr brauchte der Kapudan nicht zu wissen. Die Aufstände in Konstantinopel hatten Tradition und ihren voraus zu übersehenden Ablauf. Sie waren mehr regelrechte Staatsakte als Revolutionen, und bei fünf Regimentskesseln auf dem Fleischmarkt wußte der Pascha, daß und ungefähr auch in welchem Grade es ernst sei.
    In Minuten saß er im Sattel, raste er zur Stadt über den Markt, wagte er sich in das Labyrinth des Basars, schrie überall den Kaufleuten zu, keine Schlappschwänze zu sein und die Buden aufzulassen, kam wider Erwarten davon und erreichte, durch die Sperre gelassen, zu Boot das asiatische Ufer.
    Alles in allem eine tüchtige Leistung. Etwa ein halbes dutzendmal war er nahe daran gewesen, nicht nur im literarischen Sinne, sondern ganz wirklich in Stücke zerrissen zu werden, um dann einen wenig schönen und ganz und gar uneinheitlichen Anblick zu bieten. Dieser Ritt um das Leben wäre wohl kaum gelungen, wenn die Revolution nicht dadurch in ihrer schnellen Entfaltung eine kleine Einbuße erlitten hätte, weil Patrona Chalil statt mit den versprochenen zweihundert Mann nur mit siebzehn Mann und keinem mehr am Tor der Moschee angetreten war.
    „Chadidsche“, stöhnte Ahmed. „Es ist alles aus!“
    „Was ist aus? Vergiß nicht, wer du bist, Bruder. Du hast das kaiserliche Polster und bei einer Abdankung, wovor Allah sei, dein und deiner Söhne Leben zu verteidigen.“
    Ein derartiges Gespräch war nur bei völligem Alleinsein der Geschwister möglich. Bei der Begrüßung hatte Chadidsche Sultana ihrem Bruder Ahmed als dem Padischah die Hand und er ihr als seiner Schwester die Stirn geküßt. Das wäre geschehen, und wenn zwei Minuten später die beiden ihr Leben hätten lassen müssen. Vom Zeremonial gab es für Mitglieder der kaiserlichen Familie keine Erlösung. Das war ihre Kraft - zuweilen ihre einzige.
    Chadidsche war die Tochter Mohammeds IV. und seiner Chasseki, der innigstbegünstigten seiner Gemahlinnen. Zum Mann hatte der Vater ihr seinen Günstling und Wesir Mustafa Pascha gegeben, so daß ihr die höchste Macht, an der sie so oft teilgenommen hatte, völlig vertraut war. Etwas älter als Ahmed, war sie jetzt eine lebendfrische, gescheite Sechzigerin, deren Rat ihr regierender Bruder unter dem Vorgeben, Abschied nehmen zu wollen, begehrte. Da die Sultana am asiatischen Ufer wohnte, bedeutete der Abschied nicht viel. Von ihrem Palast bis zum Neuen Serail in Stambul bedurfte es nur einer kurzen Bootsfahrt. So fehlte

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