Der Eunuch
denen in Turin so gefallen, wenn sie erführen, daß er ihretwegen eine Tagesordnung geändert habe. Und sie würden es erfahren! Nichts da!
„Der nächste Punkt?“ fragte er seinen vertrautesten Sekretär, den Hofreferendarius von Koch.
„Werden Hoheit heute dafür Zeit haben ... es handelt sich um das Fräulein vom Vorberg .. .?“
Der Herr Referendar meinte nicht ganz zu unrecht, diese junge Dame sei nun schon so lange verschwunden, daß ihre Angelegenheit wohl noch einen Tag Zeit habe.
„Glaubt der Herr, daß ich meinen Güterdirektor aus dem tiefsten Ungarn nach Wien preschen lasse, um ihn dann wieder wegzuschicken?“
Herr Koch oder vielmehr - da er kürzlich geadelt worden war -Herr von Koch konnte sich einiges erlauben. „Ich dachte, bis morgen könne der Hauptmann schon warten“, meinte er kühl.
„So?“ nörgelte der Alte. „Bis morgen? Und dann bis übermorgen, und dann niemals. Was will der Herr dem Baron Andlaw sagen? Sie meldeten, er sei da? Lassen Sie ihn eintreten.“
„Mit dem Herrn Hauptmann?“
„Nein, leisten Sie dem Herrn Hauptmann Gesellschaft. Ich werde Sie rufen lassen, wenn ich Sie brauche.“
Eine derartige Anordnung war nahezu unverständlich. Koch war als Sohn des Intendanten Seiner Hoheit in dessen Dienst gleichsam aufgewachsen und bearbeitete auch die geheimsten Privatakten. Wenn der Prinz ihn jetzt fortschickte, so könne es, wie Koch meinte, nur einen Grund haben. Also doch! Er rechnete nach, daß der Prinz vor etwa dreiundzwanzig Jahren im spanischen Erbfolgekrieg ein Mann im besten Alter gewesen sei. Warum solle Monseigneur nicht auch einmal etwas Menschliches und Männliches zugestoßen sein?
Unbegreiflich sei nur, wie der alte Knabe sich bei etwas ganz Natürlichem so zimperlich anstelle. Herrn von Kochs Einfluß konnte zuweilen größer als der eines Ministers sein, daher neigte er zur Kritik, vor allem an seinem hohen Vorgesetzten, dem er seinen Einfluß verdankte. Obwohl er dem Hauptmann Claudius Verlet wohlwollte, paßte es ihm gar nicht, daß dieser Beamte Zeuge der Grenzen seiner, des Herrn Hofreferendars, Macht sein sollte. Verlet war ein begabter Dragoneroffizier aus dem Regiment des Prinzen; aber weiter als bis zum Hauptmann hatte man den Bürgerlichen doch nicht vorrücken lassen, und es war schon ein großes Glück für ihn gewesen, die Stelle als Güterdirektor bei seiner Hoheit zu erhalten. Herrn von Koch, der die gleiche Hürde hatte nehmen müssen und im Gegensatz zum Hauptmann genommen hatte, erfüllte dieser Umstand mit Genugtuung, und jetzt wolle er mal sehen, dachte er, was er aus dem Verlet herausbekommen könne.
Ohne Feinde zu haben, konnte man in Wien nicht leben, auch Eugen konnte es nicht. Dennoch gab es niemand, der ihm Höflichkeit abgesprochen hätte. Auch jetzt hatte er sich erhoben, um den Eintretenden zu grüßen, den Mann aus ältestem Uradel, Baron des Römischen Reiches, Christian von Andlaw, Präsident einer Verwaltungsbehörde in Brünn. Der gutaussehende Kavalier um die Fünfzig verneigte sich tief. „Eure durchlauchtigste Hoheit haben mich zu sich zu befehlen geruht...“
Aber da hatte der Prinz schon seine Hand ergriffen.
„Meinen aufrichtigsten Dank, Herr Baron, daß Sie sich bemüht haben.“ Es war alles viel einfacher, als Herr von Andlaw es sich vorgestellt hatte. Ein Tabouret war er - wenn auch kein Reichsfreiherr aus eigenem Recht und nur aus kaiserlicher Gnade - abzulehnen und mindestens auf einen Stuhl mit Rückenlehne zu beharren entschlossen gewesen. Nun jedoch stand er vor einem weit ausladenden Sessel mit verschwenderischen Armlehnen!
„Zu große Ehre, Hoheit. . .“, dankte er mit so viel Anerkennung, wie er nur anzubringen vermochte.
„Nur was einem Manne Ihrer Familie gebührt“, wurde der Prinz noch verbindlicher, während sich des Barons Steifheit soweit löste.
daß wenigstens beide zum Sitzen kamen. Der Prinz lachte, und so lachten beide Herren.
„Euer Hoheit gütige Bemerkung ist für uns Deutsche sehr schmeichelhaft“, sagte Andlaw.
„Sie rechnen sich zu den Deutschen?“
„Wegen unseres elsässischen Besitzes, fragen Durchlaucht? Er ist Reichslehen.“
„Ich fragte wegen Ihrer Abstammung von einem römischen Geschlecht. Vergessen Sie bitte nicht, welche Beziehungen mich mit Ihrer Familie verbinden. Von Ihrem Bruder, dessen Verlust ich nie verschmerzen werde, kenne ich Ihre ganze Genealogie.“
„Als mein Bruder fiel, lebte mein Herr Vater noch. Er hat uns Brüder von Hoheits
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