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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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ins Neue Serail decken würde, sei ohnehin alles verloren.
    Und die Prinzen, Ahmeds Söhne, seien ebenfalls hier auf der asiatischen Seite. Sie fühlte ihren Herzschlag in der Kehle, als sie daran dachte. Zugleich empfand sie eine kleine Genugtuung darüber, daß ihre eigenen Kinder dem Stande des Vaters folgten und keine kaiserlichen Prinzen und Prinzessinnen waren. Sie schämte sich dieses selbstsüchtigen Gefühls, aber es beruhigte sie doch.
    „Wen hast du noch bei dir?“ fragte sie. „Ich meine außer Ibrahim und seinem Kiaja, den Kapudan Pascha, den Janitscharenaga?“ Ahmed nannte die Wesire der Kuppel, fast alle Herren des Diwans, den Mufti mit allen Ulema, deren man hatte habhaft werden können, und einige Generäle.
    „Das ist gut“, sagte Chadidsche. „Höre, Bruder, laß niemanden fort, nimm alle mit ins Serail. Du kennst doch die Janitscharen, die Debedschi, die Sipahi. Wenn sie revoltieren, werden sie schon ihre Gründe haben, und wenn sie Gründe haben, verlangen sie zum Ausgleich für geschehenes Unrecht einige Köpfe. Schuldig oder nicht spielt dabei keine Rolle. Wenn sie die Namen der Opfer nur oft und laut genug geschrien haben, sind es die richtigen. Hast du deine eigene Thronbesteigung vergessen? Dafür, daß sie ihre Macht wieder hergeben und zum Gehorsam zurückkehren, haben sie eben ihren Preis, und der muß in Köpfen gezahlt werden. Warum sollte es diesmal anders sein?“
    „Du glaubst doch nicht, daß ich . ..“
    Um dieses Gespräch überhaupt führen zu können, hatte Chadidsche sich eisig gestellt. Jetzt empörte sie sich.
    „Hör auf!“ schrie sie. „Ich kann jetzt eure großen Worte nicht hören, die ihr Männer so gern gebraucht, um dann das Gegenteil zu tun! Ich glaube und weiß sehr wohl, daß du kannst und daß du wirst. Wenn du alle, die in Frage kommen, beisammen hast, kannst du den Truppen jeden Kopf hinwerfen, den sie verlangen. Nicht zum Spaß, mein Padischah, ganz gewiß nicht, sondern um deinen Kopf zu retten und die Köpfe deiner Söhne!“
    „Schwester, denkst du nicht an Ibrahim?“ Es war eine Bitte, und Ahmed sprach leise. „Ibrahim ist mein Freund, mein Schwiegersohn . . .“ „Du hast noch andere Schwiegersöhne.“
    „Du weißt doch, wie sehr Fatime an ihm hängt.“
    „Fatime ist ein verzogenes Balg. Ich war auch mal eins. Und bös’ sein kann ich ihr nicht, ich hab’ sie von Herzen gern. Aber hier geht es um mehr. Die Familie Osman hat sich nie geschont und immer mit ihrem eigenen Blut die Opfer gebracht, die sie ihrer Herrschaft und dem inneren Frieden des Reiches schuldig zu sein glaubte. Seit hundert Jahren erdrosselt man nicht mehr zur Vermeidung von Prinzenkriegen bei jeder neuen Thronbesteigung die Brüder und Neffen des Padischahs. Aber der Satz des Eroberers ist geblieben: ,Es ist besser, wenige sterben als viele.' Und die Niedriggeborenen, die wir Prinzessinnen heiraten - treten sie nicht nach wie vor durch ihre Erhebung in unsere Familie? Und ist es nicht billig und richtiger, daß sie, wenn Opfer verlangt werden, sterben, als daß die Unantastbarkeit kaiserlicher Prinzen in Frage gestellt wird? Alle unsere Völker, verschiedener Abstammung, verschiedenen Glaubens, kennen nur ein Herrscherhaus, ein einziges. Das sind wir. Sie gehören uns, wir gehören ihnen. Keiner unserer Vorfahren hat bei einer Revolte jemals die Lehenstruppen aufgeboten. Alle haben sie lieber einige Große sterben lassen als einen Bürgerkrieg entfacht.“
    „Du bist furchtbar, Chadidsche“, stöhnte Ahmed.
    „Ich bin eine Tochter unseres Hauses, von dem die Welt nie anderes erfuhr, als daß es ein Haus von Herrschern sei... und Euer Erhabenheit getreue Untertanin“, schloß sie in einem ganz anderen Ton, als ein Kämmerer dem Gespräch durch die Meldung ein Ende bereitete, daß die Flotte aus der Richtung der Dardanellen gesichtet werde.

6
    Monseigneur, der durchlauchtigste Prinz, hatten etwas aufregende Stunden hinter sich. Vielen Menschen konnte das nicht gleichgültig sein. Er war zwar kein Souverän, besaß keine eigenen Heere, aber nur Dummköpfe hätten seine Macht geringer eingeschätzt als die eines regierenden Fürsten. Dabei hatte er als fünfter Sohn seiner
    Eltern keine Erbaussichten, nicht einmal die auf den mittelbar fürstlichen Stuhl eines Grafen von Soissons. Seine Stellung war dennoch eine europäisch einmalige, und sein Ruhm war ein Weltruhm. Demgegenüber besagte seine vornehme Abkunft nur wenig, und die des Prinzen galt in Versailles als die

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