Der Eunuch
vornehmste. Wenn zwischen ihm und der Krone Frankreichs auch noch bevorrechtigter Anwärter standen, so hatte er immerhin den Rang eines Prinzen von Geblüt, was weder Ludwig XIV. davon abgehalten hatte, ihm den Eintritt in die königliche Armee zu versagen, noch den Prinzen, Dienste beim Hause Habsburg zu nehmen. Viele Male mag das Oberhaupt des Hauses, dem der Prinz angehörte, es bereut haben, dem damals noch jungen Herrn Vetter nicht nur ungnädig, sondern geradezu unanständig begegnet zu sein, und zwar immer dann dürfte er es bereut haben, wenn er wieder einmal die Nachricht von einer Niederlage seines Heeres erhielt. Auf einem anderen Gebiete freilich fühlte der Sonnige sich vollkommen sicher vor seinen Verwandten - auf dem Gebiet des majestätischen Wesens.
So häufig redete man ihm seine Unüberbietbarkeit darin vor, daß nur ein ganz starker Kopf den Allerhöchsten vor der Auffassung hätte bewahren können, der schönste Mann seines Königreiches zu sein. Von dem Prinzen hätte selbst ein geborener Höfling etwas Ähnliches nicht zu verbreiten gewagt.
Daß der Prinz klein war, mochte noch hingehen. Auch der König trug hohe Stöckel, um die Welt einiges mehr von oben betrachten zu können. Aber der König war gerade gewachsen - der Prinz dagegen ein wenig hin und her. Sein runzeliges, straff über das Gerippe gezogenes braunes Leder verstärkte als zweiten Eindruck den einer siebenjährigen Dürre. Das erste, was man zu sehen bekam, war eine ungeheure Perücke, unter der vorerst gar nidits zu bemerken war, und dann in der Dürre eine aufgeworfene Himmelfahrtsnase. Dennoch war es noch sehr die Frage, ob es vom Prinzen wohlgetan gewesen sei, sich zeit seines Lebens der Liebe oder doch dessen, was man so nennen konnte, völlig zu enthalten. Jedenfalls hatte vor Zeiten ein prinzlicher Brief die Runde gemacht, der die Reize einer hohen Dame ebenso unumwunden zugab wie den Mangel derartiger Reize bei der eigenen
Person, weswegen er gezwungen sei, seine Siege auf den Schlachtfeldern statt in den behaglicheren Himmelbetten zu suchen. Möglicherweise war dies die Wahrheit. Aber die Vermutung einer Heuchelei blieb ebenfalls bestehen, weil Männerhäßlichkeit noch niemals vor Frauenliebe schützte, und somit der Prinz vielleicht die Schlachtfelder behaglicher als unverwaiste Daunenbetten gefunden haben konnte. Doch gleichviel, ob mit oder ohne Überwindung, das eine stand für alle, die den Prinzen kannten, fest: Wenn er der einzige Mann auf dieser Welt wäre, müßten die noch vorhandenen Mädchen Jungfern bleiben.
Diesen schlechten Ruf hatte er nun einmal, Seine durchlauchtigste Hoheit Franz Eugen, Prinz von Savoyen-Carignan, Sohn des Eugen Moritz von Savoyen-Carignan, Grafen von Soissons, und der Olympia Mancini, Kardinal Mazarins Nichte.
Es war schwer, sich vorzustellen, daß ein Mensch wie der Prinz eine so schöne Mutter gehabt hatte. Aber sie war schön oder doch überaus anziehend gewesen, und so hatte ihr Jüngster nicht nur sich selbst, sondern auch sie an Ludwig XIV. gerächt, der ihr erster Liebhaber gewesen war und sie später aus Frankreich verbannt hatte. Aber das war nun vorbei, und die Aufregungen dieses Tages gingen weniger tief. Eigentlich waren es nur noch nicht erwartete Nachrichten, die wie manche Überraschungen den Tagesplan zwar störten, aber sehr vermißt worden wären, wenn sie sich nicht mit solcher Beschleunigung eingestellt hätten.
Wie wäre es möglich gewesen, daß Victor Amadeus von Savoyen, neuerdings König von Sardinien, wenn freilich auch immer noch mit der Hauptstadt Turin, die Nachricht seiner Abdankung nicht als erstem dem berühmten und mächtigen Verwandten durch Stafette zugesandt hätte? Und wie hätte der neue König das gleiche mit seiner Thronbesteigung unterlassen können?
Die Depeschen waren diesen Morgen gekommen, und es mochte einige Pferde gekostet haben, sie in so kurzer Zeit nach Wien zu befördern. Nicht ohne Befriedigung stellte der Prinz das fest. Dabei fühlte er sich als erster Minister des Kaisers, und als solcher war ihm Savoyen gar nicht lieb. Immer war es unzuverlässig, immer verkaufte es sich an den jeweils Mächtigeren, und immer wieder wurde es seiner Lage wegen eines Bündnisses und eines gewinnbringenden Friedensschlusses gewürdigt. Einen Augenblick dachte Eugen zwar daran, in dieser Sache eine Sitzung anzuberaumen, da er der Ruhe für seine anderen Arbeiten ja nun doch einmal beraubt sei. Dann aber entschloß er sich anders. Das könne
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