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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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Kislar könne doch unmöglich die Aufständischen begünstigen? Aber hundertzwanzig Landhäuser und Köschke zu beiden Seiten der süßen Wasser, manche in der Architektur errichtet, wie sie
    Ludwig XIV. von Frankreich zu Ansehen gebracht habe, seien zerstört Worden. Nur eins sei stehengeblieben. Niemand habe gewagt, an das Haus des Kislar Hand zu legen - niemand, nicht einmal die Janitscharen ...
    Ein Gedanke an das übliche Thronbesteigungsgeschenk für die Truppen hätte dem Großwesir freilich die Antwort geben können, die er suchte.
    Hundertfünfzig Wagen wurden auf den Fleischmarkt gefahren, jeder mit fünfzig Beuteln beladen. Diese siebeneinhalbtausend Beutel wurden unter vierzigtausend Janitscharen, achtzehntausend Kanonieren, zweiundzwanzigtausend Zeugschmieden und zwanzigtausend Sipahi verteilt. Uber Erwarten reich beschenkt erkannte die zufriedengestellte Truppe das Fetwa des Mufti an. Damit erklärten die Soldaten sich bereit, als gute Moslemin unter der heiligen Fahne gegen alle zu ziehen, die weiterhin Unruhe stiften wollten. Die Zelte auf dem Fleischmarkt verschwanden, die Soldaten kehrten in ihre Kasernen zurück, und am vierzehnten Tag des Aufruhrs wurden die Marktbuden wieder eröffnet. Es sah aus, als habe die Besatzung der Hauptstadt die Macht wieder in die Hände gelegt, in die sie gehörte.
    Aber noch lebten Patrona Chalil, Mußli und viele andere, denen es schwerfiel, die Tage ihrer unbeschränkten Gewalt zu vergessen, und die überzeugt waren, sich dieser Gewalt jederzeit wieder bemächtigen zu können.
    Das alte Brusa oder Brussa war, wenn man Plinius glauben will, von Hannibal und seinen karthagischen Mitflüchtlingen am Fuß des bithynischen Olymps in Kleinasien erbaut und nach dem Landesherrn Prusa genannt worden. Zur Zeit des nodi unbedeutenden osmanischen Emirats war sie die einzige Hauptstadt gewesen, nach der Eroberung von Adrianopel die zweite und nach der von Konstantinopel die dritte Hauptstadt des osmanischen Weltreichs geworden. Aber gerade diese erste hatte die Entstehung des Reiches in seinen Leiden und Freuden zum guten Teil miterlebt. Ihre Lage vor dem Hintergrund der Gebirge war reizvoll. Allmählich hatte sie den Fluß Nilufer und Binarbaschi, das Quellenhaupt, bei dem ihr Eroberer,
    Osmans Sohn Orchan, seine Fahne aufgepflanzt hatte, in ihren Bereich gezogen. Über den Fluß hatte Osmans Schwiegertochter, das griechische Schloßfräulein des gleichen Namens, Nilufer, die steinerne Brücke erbaut. Clavigo, ein spanischer Reisender aus dem Beginn des dreizehnten Jahrhunderts, hatte die Fürstin dort in ihrer Residenz getroffen und sie als eine Dame von überlegener Klugheit und bestrickenden Umgangsformen geschildert.
    Bei dieser Brücke erhob sich der Palast des Kadiasker Anatoli, des Oberstlandrichters von Kleinasien. Das war die Würde, zu der die Aufständischen Sulali Hasan Efendi, den früheren Richter von Konstantinopel, befördert hatten. Aber der neue Besitz seines schönen und in jedem Fall geräumigen Amtssitzes hatte Sulali nicht hindern können, ein weit bescheideneres Gebäude bei der Moschee des ersten Murat aufzusuchen.
    Genug Sultane und Sultaninnen, Wesire, Geistliche höchsten Ranges, Leute von Macht und Reichtum hatten es sich angelegen sein lassen, durch Errichtung schöner Gebäude ihrem Namen Nachruhm zu erwerben, als daß ein Aufenthalt in dieser Stadt mit ihren Moscheen, Schulen, Bädern, darunter den berühmten heißen Quellen, mit ihren Basaren, Kaffeehäusern und anderen Orten der Geselligkeit hätte bedrückend sein müssen. Eher das Gegenteil war der Fall. Und doch war Brusa mit Chios, Kanea, Kaffa und anderen Städten und Inseln eine Stätte der Verbannten, allerdings einer Verbannung, die mehr Zwangsferien von unbestimmter Dauer glich. Sie konnte eine vorübergehende Sommerfrische sein, zu der die Täler und Höhen des Olympos genug Gelegenheiten boten, oder auch Jahrzehnte und selbst lebenslänglich dauern. Wer sich jedoch seines Ehrgeizes zu entäußern vermochte, den störte niemand, sich bei auskömmlichen Tagegeldern eines sorgenfreien und behaglichen Daseins zu erfreuen.
    Die Verbannung eines abgesetzten hohen Beamten oder Würdenträgers war überhaupt weniger eine Strafe als eine für das öffentliche Wohl nützliche Vorkehrung - wie nützlich, das war aus dem Beispiel des neuen Kadiasker Sulali zu ersehen. Wäre er bei Ablauf seiner Amtszeit als Richter von Konstantinopel bis auf weiteres nach Brusa verwiesen worden, hätte er ruhig

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