Der Eunuch
Schleier verbarg alle Zeichen von Juliennes Belustigung. Statt jeder Antwort erbat sie ein Stückchen Papier, das ihr auch zuteil wurde. Stolz auf ihre neuerworbene Kunst nahm sie es gelassen in die Linke, holte das Blatt kunstgerecht ein und schrieb mit dem abgeschrägten Holzstift einige türkische Worte in arabischer Schrift darauf, wobei ihr die wadisende Verwunderung des eben noch so überheblichen Mannes viel Spaß machte. Nur wenige Worte schrieb sie ... ,die Dame aus dem Alten Serail' stand auf dem Zettel.
„So“, sagte sie, während sie ihr Meisterwerk zusammenfaltete, um es dem Herrn Kanzleivorstand zu reichen. „Wenn Sie nun die Gewogenheit haben möchten, dies Ihrem Herrn, über dem Allah sei, zu geben?“
Der Kanzleimann versprach es, und wenn er mit einem Blick auf Juliennes allzu einfache Kleidung seine Zurückhaltung auch nicht aufgab, so deutete er für alle Fälle doch so etwas wie eine Verbeugung an. Darauf verschwand er in ein Allerheiligstes, in das eindringen zu wollen sich seine Besucherin so hartnäckig vermaß.
Julienne blieb nicht lange allein. Mit tiefer Verneigung und einer Feierlichkeit, die sie in einer Druckerei nicht erwartet hätte, meldete der Zurückkehrende ,Ibrahim Efendi' an, wobei er die Tür für den Herrn offenhielt, der für Julienne Ibrahim war, nämlich für Mahmud. „Wenn es Ihnen beliebt hätte, Ihr gesegnetes Nahen ankündigen zu lassen, hätte ich Sie am Hoftor empfangen“, rief er.
Julienne konnte nur den Kopf schütteln.
„Immer dieser Überschwang!“ tadelte sie. „Sie haben schon ganz anders über mich gesprochen.“
„Glauben Sie mir, Hanum“, bat er, „ich habe die ganze Zeit nichts anderes getan, als auf Sie gewartet.“
Julienne blieb ungerührt.
„Wenn Sie nichts Besseres zu tun haben, läßt mich das für Ihre Druckerei fürchten“, sagte sie und überschritt, ohne eine Einladung abzuwarten, die Schwelle.
Der Rundgang war beendet. Julienne hatte großes Verständnis für alles gezeigt. Für sie war Ibrahim ein bedeutender Mann, eine Überzeugung, die sich auf den Respekt gründete, den sie dem Andenken des verstorbenen Großwesirs entgegenbrachte. Unmöglich erschien es ihr, daß Ibrahim Pascha einen Mittelmäßigen mit einer so wichtigen Aufgabe, wie es diese Druckerei sei, betraut habe. So wunderte es sie denn, daß er die Erklärungen in der Hauptsache seinem Kanzleivorstand überlassen und sich selbst auf kurze Bemerkungen beschränkt habe, die auch wieder von seinem Untergebenen ergänzt worden seien. ,Auch so ein Feiner!' hatte sie zuerst gedacht. Als alberne Großtuerei eines Mannes, der, um Eindruck zu machen, seine ,kostbaren' Worte zähle, war ihr sein Verhalten erschienen. Aber schließlich spreche sein Werk für ihn, gab sie sich zu bedenken, und vielleicht lasse es gar seine Bescheidenheit nicht zu sich selbst in dem, was er geschaffen habe, zu loben. Wieder im Zimmer des Druckers - der Herr Kanzleivorstand hatte sich bereits verabschiedet -war sie jedenfalls recht nachdenklich.
Der Raum selbst war nicht gerade üppig. Zwar gab es Teppiche, einen Diwan, und im übrigen bezeigten Tische und Stühle die abendländische Abkunft des Bewohners. Für Julienne enthielt diese Beobachtung eine kleine persönliche Genugtuung, der sie sich nicht ganz erwehren konnte. Während man hier mit dem Drucken erst anfange, dachte sie, gebe es in ihrer Heimat bereits ganze Bibliotheken gedruckter Bücher. Überhaupt beginne das Abendland, möge es sein, wie es wolle, die Welt des Islams auf fast allen technischen Gebieten zu überflügeln. Sie mußte an Beschir denken, dessen Meinung sie in so vielen Hinsichten teilte. Doch gerade er werde diese Tatsache nicht bestreiten, sei er es doch, der an nichts anderes als an die Verteidigung des Islams denke und gegen eine Gefahr, die er nicht gering einschätze.
„Darf ich Hanum von diesem Kuchen anbieten?“ fragte Mahmud und riß sie damit aus ihren Gedanken.
Die übliche Bewirtung mit Kaffee, dem berühmten Scherbet und anderen Süßigkeiten fand statt. ,Pillules orientales' fehlten ebenfalls nicht, die den Atem versüßten und im Geruch eines Aphrodisiakum standen. Auch von ihnen bot Mahmud an.
„Danke“, sagte Julienne, „ich nehme Kaffee.“
Er reichte die Tasse und, durch das Alleinsein mit ihr begünstigt, versicherte er, wie unglücklich er gewesen sei, sie nie mehr im Alten Serail getroffen zu haben.
Das war fast schon zu viel gesagt, und Julienne zögerte denn auch nicht mit der
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