Der Eunuch
Ibrahim Pascha war sehr reich. Er ist nicht mehr. Heute könnte nur noch der Padischah helfen. Aber er darf es sich nicht erlauben. Wegen der Efendi, wissen Sie? Später vielleicht, wenn er sich erst auf dem Thron befestigt hat.. .“
Sie unterbrach ihn.
„ Iich staune über Ihren Leichtsinn, Ibrahim, mir, einer Frau gegen über, deren Namen Sie nicht einmal kennen!“
„So reden sie doch alle.“ „Sie sind nicht ,alle‘. Sie schmälern mit Ihrem Gewerbe das Einkommen der Ulema, und das ist etwas, worin Geistlichkeiten empfindlich sind. Geben Sie diesen Leuten keine Gelegenheit, Sie persönlich anzugreifen. Für Sie hat es keinen Padischah zu geben, der noch nicht fest auf dem Thron sitzt. Daß man Ihnen das noch sagen muß! Aber Männer, und nun gar junge wie Sie und Ihr Kanzlist, sind Kinder.“
Daß Ibrahim in die Kindschaft einbezogen wurde, war für Mahmud ein Trost.
„Zur Großmutter fehlt Ihnen auch noch einiges“, murmelte er, und diese Verteidigung war zweifellos schwach.
Ihretwegen hätte die Verteidigung noch schwächer sein können, dadurch wäre Mahmud ihr nur näher gerückt. Mit genug hochstehenden Männern war sie zusammengekommen, ohne daß sie deren Autorität verfallen wäre, geschweige denn deren Geschlecht. Bischof oder Feldmarschall bedeuteten für sie gerade das, was diese Leute in ihren Augen als Menschen waren. Dabei bewahrte ein Gefühl der Mitverantwortlichkeit für weibliche Schwächen sie davor, sich zu überheben. Sie konnte nicht nur über Männer und andere Frauen, sondern ebenso noch mehr über sich selbst lachen.
Nichts allerdings erheiterte sie so wie männchenhaftes Gespreize, wovon Mahmud ihr erstaunlich wenig zu haben schien. Wie hätte er auch sollen? Er hatte sich nie um Frauen zu bemühen brauchen. Aber das konnte sie nicht wissen. Bei ihrem Verhältnis zu den Männern glaubte sie, diese Wesen seien eher schutzbedürftig als zu fürchten, und Mahmud, der für sie Ibrahim war, fehle überhaupt die Fähigkeit, sich zu wehren. Auf diese Weise war der ganze Mann ein Appell an Juliennes weibliches, so ausgesprochen mütterliches Gefühl. Schon im Serail war er für sie kein gewöhnlicher Mann gewesen, sonst hätte sie nicht seine Druckerei zu sehen verlangt, und was gezeigt worden war, hatte ihr eine Achtung abgenötigt, gegen die sich, wie im letzten Aufbäumen, nur noch einmal ihre fast schon vergessenen aristokratischen Vorbehalte regten. Wenn auch Bastard, so war sie doch immerhin aus königlichem Blut, mit einer Bourbonin als Urgroßmutter, was aus dem Bewußtsein ihrer früheren Umgebung nie auszurotten und darum auch von ihr nicht leicht zu überwinden gewesen war. Die vielen Liebhaber Ihrer Hoheit Mademoiselle de Soissons, der Frau Mama, waren dem Vermuten nach sämtlich hochadelig gewesen, mit der einen Ausnahme des Ehemannes, der als Abbe gar kein richtiger Ehemann hatte sein können. In schwachen Stunden war es Julienne keineswegs unangenehm, in diesem geistlichen Herrn nicht ihren Vater erblicken zu müssen; aber seit geraumer Zeit befand sie sich in einem Lande, das überhaupt ohne Aristokraten auszukommen vermochte, und Anstalten, es zu verlassen, hatte sie auch noch nicht getroffen. Dagegen saß jetzt der Plebejer Ibrahim oder doch der Mann, den sie dafür hielt, mit seinen gepflegten Manieren vor ihr, mit seinem feingeschnittenen Gesicht, das durch einen neuen, kurz gehaltenen Bart an Eleganz noch gewonnen hatte. Diese guten Eindrücke, die sie von ihm empfing, konnte es nicht beeinträchtigen, daß der Ärmste mit dem Zusammenbruch alles dessen rechnen mußte, was ihm seine Mühen eingebracht hatten. Auch andere Baroninnen, gleichviel welcher Herkunft, hätten kaum widerstehen können. Julienne konnte es nicht und kam sich dabei vor wie etwa Cäsar in dem Augenblick, als er den Hubicon überschritt. Nur daß Cäsars Rubicon wirklich da und wirklich ein Fluß war, während Juliennes Plebejer in Wirklichkeit das Oberhaupt einer Familie war, die auf mehr als halbtausendjährige Herrschaft und einen Stammbaum zurückblicken konnte, der sich bis weit ins Halbdunkel asiatischer Steppen verlor. Ganz ernsthaft dachte sie daran, ihrem Plebejer zu helfen, und dabei dachte sie an Beschir. Julienne war ein Mädchen mit einem sehr gesunden, widerstandsfähigen Gehirn. Sie wußte, daß jede Macht ihre Grenzen habe und hätte diese Tatsache gegen jedermann vertreten. Trotzdem empfand eie Beschirs Macht als grenzenlos, und diesem Glauben entsprach ihr Vertrauen. Was
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