Der ewige Gaertner
Gesicht nach unten liegen. Geduldig und immer bedacht, die Nachbarn in den Zimmern zu beiden Seiten nicht zu stören, begann er, an seinen Fesseln zu arbeiten.
SIEBZEHNTES KAPITEL
B ei dem Flugzeug handelte es sich um eine von der UNO gecharterte, ältere, zweimotorige Beechcraft, der Pilot war ein fünfzigjähriges Raubein aus Johannesburg, der Kopilot ein stämmiger Afrikaner mit Backenbart. Auf jedem der neun zerschlissenen Sitze stand ein Lunchpaket aus weißer Pappe. Der Schauplatz, Wilson Airport, lag nicht weit von Tessas Grab entfernt, und während die Maschine schwitzend auf der Startbahn wartete, reckte Ghita den Hals, um durchs Fenster den Grabhügel zu erspähen, wobei sie sich fragte, wie lange sie wohl noch auf ihren Grabstein würde warten müssen. Sie sah aber nur silbriges Gras und einen Eingeborenen mit rotem Umhang und Hirtenstab, der, auf einem Bein stehend, seine Ziegen und eine Herde Gazellen bewachte, die unter blauschwarzen Wolkenbergen an Halmen rupften. Ghita hatte ihre Reisetasche unter den Sitz geschoben, aber die Tasche war zu groß, und so musste sie ihre Füße in den Sonntagsschuhen schräg daneben stellen. Im Flugzeug war es furchtbar heiß, und der Pilot hatte die Passagiere bereits darauf hingewiesen, dass Aircondition erst nach dem Start zur Verfügung stehe. Ghitas Unterlagen und das Beglaubigungsschreiben, das sie als EADEC-Delegierte des britischen Hochkommissariats auswies, steckten in dem mit einem Reißverschluss versehenen Fach der Reisetasche. Im Hauptfach ein Nachthemd und ein paar Sachen zum Wechseln. Ich tue das für Justin. Ich trete in Tessas Fußstapfen. Ich habe keinen Grund, mich meiner Unerfahrenheit zu schämen, oder meines Doppelspiels.
Im hinteren Teil des Rumpfs waren Säcke mit kostbarem miraa verstaut, einer legalen, leicht narkotisierend wirkenden Pflanze, die bei den Eingeborenen im Norden sehr beliebt war. Langsam breitete sich deren holziger Geruch im Flugzeug aus. Vor Ghita saßen vier abgebrüht wirkende Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, zwei Männer, zwei Frauen. Vielleicht gehörten die Säcke mit dem miraa ihnen. Ghita beneidete sie wegen ihres beherzten, sorglosen Auftretens, ihrer abgewetzten Kleider und ihres ungewaschenen Engagements. Und erkannte mit einem Anflug von Selbstkritik, dass sie in ihrem Alter waren. Sie wünschte, sie hätte sich die angelernte Unterwürfigkeit abgewöhnen können, hätte nicht mehr immer die Fersen zusammenstellen müssen, wenn sie einem Vorgesetzten die Hand gab – eine Angewohnheit, auf die die Nonnen Wert gelegt hatten. Sie spähte in ihr Lunchpaket und entdeckte zwei Pisang-Sandwiches, einen Apfel, eine Tafel Schokolade und ein Trinkpäckchen mit Maracujasaft. Sie hatte kaum geschlafen und war ausgehungert, aber ihr Anstandsgefühl verbot ihr, schon vor dem Start ein Sandwich zu essen. Am Abend zuvor hatte in ihrer Wohnung ununterbrochen das Telefon geklingelt, weil ihre Freunde von dem Haftbefehl gegen Arnold gehört hatten und ihrer Empörung und ihrem Unglauben Luft machen mussten. Ghitas Position im Hochkommissariat verlangte von ihr, dass sie ihnen gegenüber die Staatsmännin spielte. Todmüde entschloss sie sich um Mitternacht zu einem folgenschweren Schritt; wäre er erfolgreich gewesen, hätte er sie aus dem Niemandsland geführt, in dem sie sich seit drei Wochen wie eine Einsiedlerin verkrochen hatte. Sie kramte aus einem alten Messingtopf, in dem sie allerlei Kleinigkeiten aufbewahrte, einen Zettel hervor, den sie dort versteckt hatte. Hier können Sie uns anrufen, Ghita, falls Sie sich entschließen sollten, wieder mit uns zu reden. Wenn wir nicht da sind, können Sie eine Nachricht hinterlassen; einer von uns beiden ruft dann innerhalb von spätestens einer Stunde zurück. Versprochen. Eine aggressive afrikanische Männerstimme meldete sich, und Ghita hoffte schon, sich verwählt zu haben.
»Ich möchte bitte mit Rob oder Lesley sprechen.«
»Wie heißen Sie?«
»Ich möchte mit Rob oder Lesley sprechen. Ist einer von den beiden da?«
»Wer sind Sie? Nennen Sie sofort Ihren Namen und den Grund Ihres Anrufs.«
»Ich möchte bitte mit Rob oder Lesley sprechen.«
Als am anderen Ende der Hörer aufgeknallt wurde, nahm sie ohne viel Aufhebens hin, dass sie, wie vermutet, ganz allein dastand. In Zukunft konnte ihr keine Tessa, kein Arnold, keine kluge Lesley von Scotland Yard die Verantwortung für ihr Handeln abnehmen. Sich an ihre geliebten Eltern zu wenden, war auch keine Lösung. Ihr
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