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Der ewige Gaertner

Der ewige Gaertner

Titel: Der ewige Gaertner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Vater, der Anwalt, würde sich ihre Aussage anhören und erklären, es gebe da einerseits dies, andererseits jenes zu bedenken, und dann würde er sie fragen, ob sie für diese sehr schweren Anschuldigungen irgendeinen stichhaltigen Beweis habe. Ihre Mutter, die Ärztin, würde sagen, du bist überarbeitet, Liebes, komm nach Hause und ruh dich ein wenig aus. Dieser Gedanke schwebte noch am deutlichsten in ihrem schläfrigen Kopf, als sie ihren Laptop in der sicheren Erwartung aufklappte, dass auch er randvoll mit Schmerz und Empörung über Arnold angefüllt war. Aber kaum war sie online gegangen, gab der Bildschirm mit einem leisen Knacken den Geist auf. Sie fing noch einmal von vorne an – vergebens. Sie rief ein paar Freunde an, nur, um zu erfahren, dass deren Computer in Ordnung waren.
    »Wow, Ghita, vielleicht hast du dir einen dieser verrückten Viren von den Philippinen eingefangen, oder wo diese Cyberfreaks sich rumtreiben!«, hatte eine Freundin neidisch ausgerufen, als wäre Ghita eine ganz besondere Aufmerksamkeit zuteil geworden.
    Ja, vielleicht, dachte sie und konnte kaum schlafen, so sehr beunruhigte sie der Gedanke an die E-Mails, die sie verloren hatte, die Plaudereien mit Tessa, die sie nie ausgedruckt hatte, weil sie ihr auf dem Bildschirm lebendiger vorkamen, enger mit Tessa verbunden.
    Die Beechcraft war immer noch nicht gestartet, und so wandte sich Ghita, wie es ihre Gewohnheit war, den elementaren Fragen des Lebens zu, wobei sie jedoch der elementarsten von allen geflissentlich aus dem Weg ging: Was mache ich hier und warum? Vor ein paar Jahren hatte sie sich in England – in meinem Leben vor Tessa, wie sie es insgeheim nannte – über die realen und eingebildeten Kränkungen den Kopf zerbrochen, die sie dort tagtäglich wegen ihrer anglo-indischen Herkunft zu erdulden hatte. Sie sah sich selbst als hoffnungslosen Mischling: Zur Hälfte war sie eine Farbige auf der Suche nach Gott, zur anderen Hälfte eine Weiße, anderen Arten überlegen, nur dass sie keine Rechte hatte. Von früh bis spät grübelte sie darüber nach, wo sie in der Welt der Weißen hingehörte, wie und wo sie ihr Engagement und ihre Menschlichkeit einsetzen könnte, und ob sie sich weiter in Tanz und Musik ausbilden lassen sollte, an dem Londoner College, oder ob sie – der Vorstellung ihrer Adoptiveltern entsprechend – ihrem anderen Stern folgen und einen akademischen Beruf ergreifen sollte.
    Das erklärt, warum sie eines Morgens, einem spontanen Entschluss folgend, an einem Eignungstest für den diplomatischen Dienst Ihrer Majestät teilnahm, den sie – wenig überraschend, da sie sich niemals mit Politik beschäftigt hatte – nicht bestand; immerhin riet man ihr, sich in zwei Jahren noch einmal zu bewerben. Und irgendwie verhalf allein schon der Entschluss, an dem Test teilzunehmen, wenn der Versuch auch erfolglos blieb, der zugrunde liegenden Idee zum Durchbruch: dass sie zufriedener wäre, wenn sie sich in das System einfügte, statt weiter abseits zu bleiben und damit nicht viel mehr zu erreichen als eine teilweise Befriedigung ihrer künstlerischen Ambitionen.
    Und als sie in dieser Phase ihre Eltern in Tansania besuchte, fasste sie, wiederum spontan, den Entschluss, sich um eine Stelle beim dortigen britischen Hochkommissariat zu bewerben und nach Aufstiegsmöglichkeiten zu suchen, wenn sie erst einmal dort arbeitete. Hätte sie das nicht getan, hätte sie Tessa niemals kennen gelernt. Und dann hätte sie sich auch niemals, so dachte sie jetzt, an die vorderste Front begeben, um für die Dinge zu kämpfen, denen treu zu bleiben sie fest entschlossen war – auch wenn sie letztlich auf ziemlich simplen Ideen beruhten: Wahrheit, Toleranz, Gerechtigkeit, Sinn für die Schönheit des Lebens und eine geradezu leidenschaftliche Ablehnung ihres jeweiligen Gegenteils –, vor allem aber der von ihren Eltern ererbten und von Tessa gefestigten Überzeugung, dass das System selbst gezwungen werden muss, diese Tugenden widerzuspiegeln, da es andernfalls keine Daseinsberechtigung hat. Das brachte sie wieder auf die elementarste Frage von allen zurück. Sie hatte Tessa geliebt, sie hatte Bluhm geliebt, sie liebte Justin noch immer und, wenn sie ehrlich war, ein wenig mehr, als angemessen oder zuträglich erscheinen mochte, oder wie man das nennen wollte. Und dass sie für das System arbeitete, verpflichtete sie noch lange nicht, auch die Lügen des Systems hinzunehmen, Verdrehungen, wie sie sie erst gestern aus Woodrows

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