Der ewige Gaertner
führte Ghita zum Empfang, wo sie ihren Pass abgeben musste. Als sie sich in das Buch eintrug, blätterte sie ein wenig darin herum und fand ausgerechnet die Seite, nach der sie vorgeblich nicht gesucht hatte:
Tessa Abbott, Postfach, Nairobi, Tukul 28
A. Bluhm, Médecins de l’Univers, Tukul 29.
Neben beiden das gleiche Datum.
»Die Pressefritzen haben Freudentänze vollführt«, erzählte Judith begeistert. »Reuben hat fünfzig US-Dollar pro Schuss verlangt, bar auf die Hand. Insgesamt achthundert, das macht achthundert Malbücher plus Buntstifte. Reuben schätzt, das ergibt zwei Dinka-van-Goghs, zwei Dinka-Rembrandts und einen Dinka-Andy-Warhol.«
Reuben, der legendäre Organisator des Camps, erinnerte sich Ghita. Aus dem Kongo. Ein Freund von Arnold.
Sie gingen durch eine breite Allee aus Tulpenbäumen, deren feuerrote Trompetenblüten sich leuchtend von den hängenden Stromkabeln und den weiß getünchten, strohgedeckten tukuls abhoben. Ein dürrer Engländer, der aussah wie ein Grundschullehrer, radelte auf einem alten Polizeifahrrad gemessen an ihnen vorbei. Als er Judith erblickte, klingelte er und winkte ihr freundlich zu.
»Duschen und Klos auf der anderen Straßenseite, erste Sitzung morgen früh um Punkt acht Uhr, wir treffen uns vor Hütte 32«, erklärte Judith, als sie Ghita ihre Unterkunft zeigte. »Moskitospray neben dem Bett, und wenn du klug bist, benutzt du das Netz. Hast du Lust auf ein Bier vorm Abendessen, bei Sonnenuntergang unten im Klub?«
Ja, Ghita hatte Lust.
»Und pass gut auf dich auf. Manche Jungs hier sind ziemlich hungrig, wenn sie von ihren Exkursionen zurückkommen.«
Ghita bemühte sich um einen beiläufigen Ton. »Ach, übrigens, es gibt eine Frau namens Sarah, die wohl mit Tessa befreundet war. Ist sie vielleicht hier, dass ich ihr mal guten Tag sagen kann?«
Sie packte ihre Sachen aus und ging dann, mit Kulturbeutel und Handtuch bewaffnet, tapfer auf die andere Straßenseite. Es hatte geregnet, der Lärm vom Flugplatz klang gedämpfter. Die gefährlichen Hügel wirkten jetzt schwarz und olivgrün. Es roch nach Benzin und Gewürzen. Sie duschte, ging in ihr tukul zurück, setzte sich mit ihren Arbeitsunterlagen an einen wackligen Tisch und vertiefte sich, hoffnungslos schwitzend, in die komplizierten Details nachhaltiger Entwicklungshilfe.
***
Das Klubhaus von Loki bestand aus einem Baum mit einer ausladenden Krone und einem lang gestreckten Strohdach darunter, einer Bar, deren Rückwand mit Dschungelmotiven bemalt war, und einem Videoprojektor, der verschwommene Bilder von einem längst vergangenen Fußballspiel an eine getünchte Mauer warf, wozu aus den Lautsprechern afrikanische Tanzmusik dröhnte. Entzückte Wiedererkennungsschreie hallten durch die Abendluft, wenn Mitarbeiter von Hilfsorganisationen aus abgelegenen Gebieten sich in verschiedenen Sprachen begrüßten und einander um den Hals fielen. Das hier sollte meine geistige Heimat sein, dachte Ghita sehnsüchtig. Das sind meine Regenbogenleute. Ihre Klassenlosigkeit, ihre Rassenlosigkeit, ihr Eifer, ihre Jugend – das alles entspricht mir. Mach in Loki mit und werde eine Heilige! Flieg in der Gegend rum, halt dich für eine Abenteurerin, genieß die Gefahr! Hol dir Sex, soviel du willst, führ ein Nomadenleben, das dir eine Menge Konflikte erspart! Keine langweilige Büroarbeit, und immer ein bisschen Gras zum Rauchen! Ruhm und Männer, wenn ich vom Einsatz zurückkehre, Geld und noch mehr Männer, wenn ich mal Urlaub mache! Wer will mehr?
Ich.
Ich will verstehen, warum dieser ganze Mist überhaupt getan werden muss. Und warum jetzt. Ich will den Mut haben, genau wie Tessa, wenn sie besonders zynischer Stimmung war, zu sagen: »Loki ist zum Kotzen. Es hat genauso wenig Daseinsberechtigung wie die Berliner Mauer. Es ist ein Denkmal für das Scheitern der Diplomatie. Was für einen Sinn haben luxuriöse Rettungswagen, wenn unsere verdammten Politiker nichts zur Verhütung von Unfällen tun?«
Mit einem Schlag wurde es dunkel. Gelbe Neonröhren ersetzten das Sonnenlicht, die Vögel verstummten kurz und nahmen ihre Gespräche dann in erträglicher Lautstärke wieder auf. Ghita saß an einem langen Tisch, Judith drei Plätze weiter, einen Arm um einen Anthropologen aus Stockholm gelegt, und Ghita dachte, dass sie sich das letzte Mal so gefühlt hatte, als sie als Neue in die Klosterschule gekommen war. Nur dass in der Klosterschule kein Bier getrunken wurde und nicht ein halbes Dutzend sympathischer junger
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