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Der ewige Gaertner

Der ewige Gaertner

Titel: Der ewige Gaertner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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abzulenken, fing Woodrow an, sich eingehend mit den Kirchenfenstern zu beschäftigen. Die Heiligen, alle weiß und männlich. Keine Bluhms. Tessa hätte Zustände gekriegt. Ein Gedenkfenster erinnerte an einen hübschen weißen Jungen im Matrosenanzug, symbolisch umringt von Dschungeltieren, die ihn anbeteten. Eine gute Hyäne riecht Blut auf zehn Kilometer . Wieder drohten Tränen, ihn zu überwältigen, und Woodrow richtete seine Aufmerksamkeit auf den guten alten heiligen Andreas, der aussah wie ein Zwillingsbruder des Jagdgehilfen Macpherson, damals, als sie mit den Jungen zum Lachsfischen ans Loch Awe gefahren waren. Die grimmigen schottischen Augen, der rostfarbene schottische Bart. Was die wohl von uns halten mögen, fragte er sich, als er seinen tränenverschleierten Blick über die schwarzen Gesichter unter den Anwesenden schweifen ließ. Was haben wir uns damals bloß dabei gedacht, als wir hier mit unserem weißen britischen Gott und unserem weißen schottischen Heiligen hausieren gingen, obwohl doch dieses Land für uns nie etwas anderes war als ein Abenteuerspielplatz für heruntergekommene Lebemänner?
    »Ich persönlich versuche, Wiedergutmachung zu leisten«, antwortest du, als ich dir beim Flirt auf der Tanzfläche des Muthaiga Club ebendiese Frage stelle. Aber du antwortest niemals auf eine Frage von mir, ohne sie umzudrehen und gegen mich zu verwenden: »Und was machen Sie hier, Mr Woodrow?« Die Band ist laut, und wir müssen eng beieinander tanzen, wenn wir uns hören wollen. Ja, das sind meine Brüste, sagen deine Augen, als ich einen Blick nach unten wage. Ja, das sind meine kreisenden Hüften da unterhalb deiner Hände, die auf meiner Taille ruhen. Auch die kannst du dir ansehen, dich an ihrem Anblick weiden. Das tun die meisten Männer. Also gib dir heute Mühe so zu tun, als wärst du eine Ausnahme
    »Ich denke doch, dass meine Tätigkeit hier darin besteht, den Kenianern zu helfen, mit den Dingen umzugehen, die wir ihnen gegeben haben«, schreie ich wichtigtuerisch gegen die Musik an und spüre, wie dein Körper erstarrt und sich, fast noch ehe ich den Satz beendet habe, meinen Händen entwindet.
    »Wir haben ihnen überhaupt nichts gegeben ! Sie haben es sich genommen ! Mit vorgehaltener Waffe! Wir haben ihnen nichts gegeben – gar nichts!«
    Woodrow fuhr mit einem Ruck herum. Gloria neben ihm ebenfalls, und auch die Coleridges auf der anderen Seite des Ganges. Draußen vor der Kirche hatte jemand geschrien, dann krachte es, als würde Glas zertrümmert. Durch das offene Portal beobachtete Woodrow, wie zwei verängstigte Küster in schwarzen Anzügen das Zufahrtstor zum Vorplatz schlossen, während behelmte Polizisten bereits den Zaun abriegelten; sie schwangen metallverstärkte Schlagstöcke, beidhändig, wie Baseballspieler, die sich für den nächsten Schlag locker machen. An der Straße, wo sich die Studenten versammelt hatten, brannte ein Baum, und darunter lagen ein paar umgestürzte Autos, deren Insassen vor Angst nicht auszusteigen wagten. Vom anfeuernden Gebrüll der Menge begleitet, hob eine glänzend schwarze Limousine wankend vom Boden ab, ein Volvo wie der von Woodrow, getragen von einer Schar junger Männer und Frauen. Der Wagen schwebte höher, schwankte, kippte, erst auf die Seite, dann auf den Rücken, und fiel schließlich mit lautem Krachen abrupt neben seinen Brüdern nieder. Die Polizisten gingen zum Angriff über. Worauf immer sie bis dahin auch gewartet hatten, jetzt war es passiert. Eben noch hatten sie untätig herumgestanden, nun aber schlugen sie eine rote Schneise durch die fliehende Menge und blieben allenfalls stehen, um die schon Gestürzten mit einem Hagel weiterer Schläge zu bedecken. Ein Panzerwagen fuhr vor, und ein halbes Dutzend blutiger Körper wurde auf die Ladefläche geworfen.
    »Die Universität ist ein einziges Pulverfass, mein Lieber«, hatte Donohue auf Woodrows Frage nach den Risiken erklärt. »Es gibt keine Stipendien mehr, die Angestellten werden nicht mehr bezahlt, Studienplätze werden nur noch an dumme Reiche vergeben, Wohnheime und Lehrsäle sind überfüllt, die Klos verstopft, die Türen geklaut, und die Brandgefahr ist enorm, weil auf den Fluren über offenem Holzkohlefeuer gekocht wird. Es gibt keinen Strom, kein elektrisches Licht um zu lesen, ja nicht mal Bücher, die man lesen könnte. Die ärmeren Studenten gehen auf die Straße, weil die Regierung, ohne irgendwen zu fragen, die Hochschulen privatisiert und Bildung nur noch

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