Der ewige Krieg 01 - Der ewige Krieg
wir nach Genf fliegen würden, wo wir heute abend im Gebäude der Vereinten Nationen von der Vollversammlung geehrt werden sollten. Oder zur Schau gestellt, dachte ich. Er sagte, daß die meisten von uns in Genf von Verwandten erwartet würden.
Ais die Atlantikküste unter uns zurückblieb, fiel mir auf, daß das Wasser des Atlantik unnatürlich grün aussah. Ich nahm mir vor, die Stewardeß zu fragen, doch dann wurde der Grund offenbar. Es war eine Algenfarm. Vier große Flöße (sie mußten riesig gewesen sein, aber ich hatte keine Ahnung, wie hoch wir waren) zogen nebeneinander langsam über die grüne Oberfläche, und jedes hinterließ eine blauschwarze Schleppe, die allmählich verblaßte. Bevor wir landeten, erfuhr ich, daß es eine tropische Algenart sei, die zu Viehfutter verarbeitet werde.
Genf war ein einziges Gebäude, ähnlich wie Jacksonville, schien aber kleiner, was an den natürlichen Bergen liegen mochte, die es umgaben. Der an einen Vulkan gemahnende Kegel war mit Schnee bedeckt, was ihm zu weichen Konturen und einer fast unirdischen Schönheit verhalf.
Wir gingen durch wirbelndes Schneegestöber – wie herrlich, nicht die ganze Zeit mit dem Gesumm von Klimaanlagen in genau eingestellter ›Zimmertemperatur‹ zu leben! – zu einem Hubschrauber, der uns auf den Gipfel des Gebäudes brachte. Dann ging es mit einem Aufzug in die Tiefe, einen Korridor entlang, mit einem zweiten Aufzug weiter abwärts, schließlich einen breiten, belebten Korridor entlang zur Thantstraße 281 B, Zimmer 45, wie es dem Wegweiser entsprach, den sie mir mitgegeben hatten. Meine Finger berührten den Klingelknopf, ohne ihn zu drücken; ich hatte beinahe Angst.
Mit der Tatsache, daß mein Vater tot war – die Armee hatte uns auf Sterntor mit solchen privaten Neuigkeiten aufgewartet –, hatte ich mich relativ leicht abgefunden; sie beunruhigte mich nicht so sehr wie die Aussicht, meiner Mutter gegenüberzutreten, die plötzlich vierundachtzig war. Ich war nahe daran, zu kneifen und mich in einer Wirtschaft vollaufen zu lassen, doch dann ermannte ich mich und drückte den Knopf.
Meine Mutter öffnete rasch die Tür. Sie war älter, hatte sich aber nicht allzusehr verändert. Die Falten waren zahlreicher geworden, das Haar weiß statt grau. Wir starrten einander an, dann umarmten wir uns, und ich war überrascht und erleichtert, wie glücklich ich über das Wiedersehen war.
Sie nahm mir den Mantel ab und führte mich ins Wohnzimmer, wo mich ein Schock erwartete: Mein Vater stand da, lächelnd, doch ernst, die unvermeidliche Pfeife in der Hand. Ich verspürte eine Aufwallung von Zorn auf die Armee, die mich mit einer Falschmeldung irregeführt hatte – dann begann ich zu begreifen, daß er mein Vater nicht sein konnte, weil dieser ein Greis hätte sein müssen. Auch glich er bei näherem Hinsehen nicht ganz dem Vaterbild, das ich im Gedächtnis bewahrt hatte.
»Michael? Mike?«
Er lachte. »Wer sonst, Willy?« Mein jüngerer Bruder, jetzt ein Mann gesetzten Alters. Ich hatte ihn seit 1993 nicht gesehen, als ich mein Studium begonnen hatte. Er war damals sechzehn gewesen; zwei Jahre später war er eingezogen und auf dem Mond stationiert worden.
»Hast du genug vom Mond?« fragte ich, als wir einander die Hände schüttelten.
»Wie? Ach nein, Willy, ich verbringe jedes Jahr einen oder zwei Monate hier auf der alten Erde. Es ist nicht mehr, wie es früher war.« Als die ersten Leute für den Mond rekrutiert worden waren, hatte es erst nach drei Jahren Heimaturlaub gegeben. Die Treibstoffkosten waren zu hoch, um ein häufigeres Pendeln zu gestatten.
Wir setzten uns um einen marmornen Kaffeetisch, und Mutter bot Joints an.
»Alles hat sich so sehr verändert«, sagte ich, bevor sie anfangen konnten, mich über den Krieg auszufragen. »Erzählt mir alles.«
Mein Bruder hob abwehrend die Hände und lachte. »Das ist eine große Bestellung. Hast du ein paar Wochen Zeit?« Es bereitete ihm offensichtlich Kopfzerbrechen, wie er sich mir gegenüber verhalten sollte. War ich sein Neffe, oder was? Ganz gewiß nicht mehr sein älterer Bruder.
»Du solltest Michael sowieso nicht fragen«, sagte Mutter. »Diese Mondleute reden über die Erde, wie Jungfrauen über Sex reden.«
»Aber, Mutter …«
»Mit Enthusiasmus und Unwissenheit.«
Ich zündete meinen Joint an und inhalierte tief. Der Geschmack war ungewohnt süß.
»Mondleute verbringen jedes Jahr ein paar Wochen auf der Erde, und die Hälfte dieser Zeit erzählen sie
Weitere Kostenlose Bücher