Der ewige Krieg 03 - Der ewige Friede
noch von einem Arzt untersucht werden?«
Er wurde rot. »Sie glauben nicht, dass ich ein Arzt bin?«
»Nein. Sind Sie einer?«
»Ich bin jedenfalls berechtigt, Sie zu entlassen. Sie sind entlassen.« Er wandte sich ab und ging zur Tür.
»Aber – meine Kleider? Wo sind meine Kleider?« Er verschwand mit einem Achselzucken.
»Versuchen Sie’s mal mit dem Schrank da drüben, Mädchen!« Amelia bewegte sich langsam. Ihre Gelenke waren wie eingerostet. Sie öffnete alle Schranktüren und entdeckte ordentliche Stapel mit Bettwäsche und Nachthemden, aber keine Spur von dem Koffer, mit dem sie nach Guadalajara gereist war.
»Hat vielleicht jemand mitgenommen«, sagte eine andere der alten Frauen. »Ich nehme an, der Schwarze…«
Natürlich. Jetzt fiel es ihr wieder ein. Sie hatte Julian gebeten, ihn daheim abzustellen. Er war wertvoll, handgearbeitet, und es gab hier keine Möglichkeit, ihn einzuschließen.
Gab es noch mehr Kleinigkeiten, die sie vergessen hatte? Die John D. O’Bryant School für Mathematik und Naturwissenschaften war in New Dudley. Ihr Büro hatte die Nummer 12-344. Wie lautete die Durchwahl von Julian? Acht.
Sie holte ihre Kosmetiktasche aus dem Bad und kramte das Handy heraus. Auf der Tastatur war Zahnpasta verschmiert. Sie wischte sie mit einem Zipfel ihres Nachthemds ab, setzte sich auf das Bett und tippte die 08 ein.
»Mister Class ist momentan im Hörsaal«, erklärte der Anrufbeantworter. »Ist das Gespräch dringend?«
»Nein. Eine Nachricht.« Sie machte eine Pause. »Liebling, bring mir bitte etwas zum Anziehen. Sie haben mich entlassen.« Sie legte das Handy zur Seite und tastete nach der kalten Metallscheibe am Hinterkopf. Plötzlich liefen ihr Tränen über die Wangen. »Scheiße!« murmelte sie und wischte sie weg.
Eine vierschrötige Krankenschwester schob eine Rolltrage ins Zimmer, auf der eine verschrumpelte kleine Chinesin lag. »Was soll das hier?« fragte sie. »Ist das Bett nun frei oder nicht?«
Amelia musste lachen. Sie nahm ihre Kosmetiktasche und den Chandler unter den Arm, hielt mit der freien Hand das Nachthemd zusammen und trat in den Korridor hinaus.
es dauerte eine weile, bis ich Amelia gefunden hatte. Ihr Krankenzimmer war voll von störrischen alten Weibern, die entweder gar nichts sagten oder mir die falsche Auskunft gaben. Natürlich wartete sie in der Verwaltung. Sie musste zwar nichts für das Zimmer und die medizinische Versorgung bezahlen, aber man berechnete ihr zwei ungenießbare Mahlzeiten, die sie nicht gegessen, aber auch nicht abgelehnt hatte, weil sie dazu nicht in der Lage gewesen war.
Das war vermutlich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Als ich ihr die Kleider brachte, streifte sie wortlos das himmelblaue Klinik-Nachthemd ab. Sie hatte nichts darunter an. Im Wartezimmer saßen acht bis zehn Leute.
Ich stand da wie vom Donner gerührt. Meine sonst so auf ihre Würde bedachte Amelia?
Am Schalter saß ein gelockter Jüngling. Er sprang auf. »Halt! Das… das können Sie doch nicht tun!«
»Nein? Dann passen Sie mal auf!« Sie zog zuerst die Bluse an und ließ sich Zeit mit dem Zuknöpfen. »Ich wurde aus meinem Krankenzimmer geworfen. Ich weiß nicht, wo ich mich sonst umziehen soll…«
»Amelia!« Sie beachtete mich nicht.
»Gehen Sie auf die Damentoilette! Auf der Stelle!«
»Danke, nein!« Sie versuchte auf einem Fuß zu stehen und sich die Socke anzuziehen, begann jedoch zu schwanken und wäre um ein Haar nach vorn gekippt. Ich stützte sie. Die Zuschauer schwiegen respektvoll.
»Ich werde den Wachdienst rufen!«
»Das werden Sie nicht!« Sie ging auf ihn zu, in Socken, aber immer noch nackt von den Knöcheln bis zur Taille. Sie war ein paar Zentimeter größer als er und starrte auf ihn herunter. Ihm quollen fast die Augen aus dem Kopf. Allem Anschein nach hatte er noch nie ein Schamdreieck so nahe an seiner Schreibtischkante gesehen. »Ich mache eine Riesenszene – das verspreche ich Ihnen!« sagte sie ruhig.
Er setzte sich wieder. Seine Kinnlade klappte nach unten, aber er sagte nichts. Sie streifte die Hose über, schlüpfte in ihre Schuhe, hob das Nachthemd vom Boden auf und warf es in den Recycler.
»Julian, dieser Ort ödet mich an.« Sie hakte sich bei mir unter. »Lass uns gehen und ein paar andere Leute ärgern!« Im Warteraum war es still, bis wir den Korridor erreicht hatten, doch dann brach ein hektisches Geschnatter los. Amelia sah starr geradeaus. Ein Lächeln umspielte ihre
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