Der Ewige Widersacher
offenbar wußte dieser Bursche auch, wo er den Nazarener finden würde.
Ich nickte unmerklich: Das war mein Mann!
Schon wollte ich mich erheben, um zum Tisch des Burschen zu gehen und zu fragen, ob ich mich zu ihm setzen dürfte, als sich etwas auf meine Schulter legte! Leicht wie eine Feder nur, aber doch kräftig genug, um mich innehalten zu lassen.
Ich wandte mich um - und sah in ein Augenpaar, so dunkel, daß sich die Pupillen kaum ausmachen ließen, und volle Lippen von fast blutigem Kot lächelten mir unsicher zu.
»Herr?« fragte das Mädchen, dessen grazile Gestalt sich selbst unter ihrem weiten Gewand erahnen ließ.
»Was ist?« fragte ich, nicht annähernd so unwirsch, wie ich es beabsichtigt hatte. Ihre Schönheit ließ selbst mich nicht ungerührt, schließlich besaß ich den Körper eines Mannes.
»Ich wurde zu Euch geschickt, Herr«, sagte sie zaghaft. Ihr Blick tastete wie zufällig an meiner Gestalt hinab, und ich spürte ihn, als berühre das Mädchen mich mit ihren Fingern.
»Wer hat dich geschickt?« wollte ich wissen. Ich ließ meine Augen nicht von ihr.
Sie sah mich an, dann ging ihr Blick zur Tür der Schenke. »Kommt mit«, bat sie.
»Wohin?«
»Ich möchte kein Aufsehen erregen.« Unauffällig wies sie in die Runde. Einige der umsitzenden Männer musterten uns ganz unverhohlen.
Ich nickte knapp und verließ im Schatten der Schönen das Gasthaus. Draußen empfing uns schon die Dämmerung. Ich hatte länger in der Schenke gesessen als angenommen.
»Nun?« Ich folgte ihr nicht weiter, als sie die Gasse draußen hinablaufen wollte. Demonstrativ blieb ich stehen, verschränkte die Arme. »Was soll das? Wo willst du mich hinführen, und wer gab dir den Auftrag, mich zu holen?«
Sie drehte sich nach mir um, und die Art, in der sie es tat, ließ in mir den Wunsch fast übermächtig werden, ihr einfach nur zu folgen - in eine dunkle Ecke der Stadt oder eine verborgene Kammer ... Ein angenehmer Schauer durchlief meine Lenden, als unsere Blicke sich im Zwielicht trafen. Noch über die Distanz nahm ich den eigentümlichen Glanz in ihren Augen wahr.
»Ihr werdet es nicht bereuen«, versprach sie, »und schon gar nicht braucht Ihr Euch zu fürchten.«
»Das brauche ich ganz gewiß nicht«, erwiderte ich mit hartem Lächeln. »Sag, wer dich zu mir schickte, und ich folge dir ohne weitere Frage.«
»Mein Herr«, antwortete sie, »wünscht Euch zu sprechen. Er hat -«, sie zögerte kurz, »- Euch einen Handel anzubieten.«
»Einen Handel?« Ich hob die Brauen. »Handel ist mein Geschäft.«
»Das weiß mein Herr wohl.« Damit wandte sie sich um und eilte weiter, ein Schemen in den Schatten.
Endlich folgte ich ihr.
Neugierde ist eine Macht, die nicht allein auf Menschen wirkt. Selbst der Teufel erliegt ihr bisweilen.
*
»Was ist dein Herr? Ein Toter? Oder ergötzt er sich lediglich am Tod?«
Sarah - so war der Name der Schönen - hatte mich aus Gerasa hinaus zu einer zerklüfteten Hügelkette nahe des Seeufers geführt. Auf natürlichem Wege darin entstandene Höhlen waren von Menschenhand erweitert und teils durch Gänge miteinander verbunden worden. Und jetzt nutzte man sie zur Totenbestattung.
Das Mädchen eilte mir durch die Grabhöhlen voraus. Schwacher Kerzenschein wies mir ihren Weg und ließ mich ihr folgen.
»Mein Herr lebt im Geheimen«, antwortete sie. Der Fels um uns her zersplitterte ihre Worte in Dutzende von Echos, die wie Geisterstimmen in den Schächten und Höhlen flüsterten.
Das Flackern der Kerzenflamme vor mir nahm ab, ich kam ihm näher. Sarah war stehengeblieben und entfachte zwei Fackeln, die kurzerhand in Wandspalten geklemmt worden waren. Ihr Licht enthüllte eine Höhle, die sich nicht von jenen unterschied, die wir auf unserem Weg hierher durchquert hatten. Gesichter in unterschiedlichen Verwesungszuständen grinsten uns aus Nischen heraus an, Würmer, Maden und allerlei Insekten, die wimmelnd Mund und Augenhöhlen füllten, schufen die Illusion abseitigen Lebens in den Totenfratzen.
»Wo ist er nun dein geheimnisvoller Herr?« fragte ich.
Ich schaute mich um und sah eine Reihe von Stollen, die in diese Höhle mündeten. Dann wandte ich mich Sarah zu. Einen Moment lang wollte ich mich fragen, weshalb ich mich auf dieses seltsame Spiel eingelassen hatte, doch der Anblick des Mädchens ließ mich die Frage vergessen. Ich hätte meine Zeit weit nutzloser vergeuden können - und freudloser vor allem ...
»Komm zu mir«, verlangte ich und streckte die Hand
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