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Der Experte: Thriller (German Edition)

Der Experte: Thriller (German Edition)

Titel: Der Experte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Allen Smith
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immer geantwortet, es sei ihm egal. Er blickte zu ihr hinüber. Der Vater hatte das Laken bis zu ihrem Hals hochgezogen. Ihr Blut hatte es in der Mitte rot getränkt. Ihr Gesicht war ruhig und weiß – kühler, eleganter Marmor. Er spürte, wie es in seinen Ohren zu pochen begann.
    »Vater … ich glaube, ich muss weinen. Es tut mir leid.«
    Sein Vater kam mit leicht gebeugtem Gang herbei. Für den Jungen sah es aus, als erwachte das alte, ungezähmte Tier in ihm zum Leben. Er beugte sich vor und hob das Jagdmesser auf. Als er sich wieder aufrichtete, sah ihm der Junge direkt ins Gesicht. Es war erstarrt, als wäre das Fleisch unter dem Bartdickicht zu Stein geworden. Und seinen Augen hatte der Tod einen Besuch abgestattet, sein Beileid ausgesprochen und Dunkelheit gebracht – und das Licht mitgenommen, als er wieder ging.
    »Dann tu es – weine«, sagte er. »Danach wird es kein Weinen mehr geben. Keine Weichlichkeit mehr in diesem Haus. Keine Schwachheit. Dafür werde ich sorgen.« Er wischte die Klinge an einem Hosenbein ab, langsam, erst eine Seite, dann die andere. »Du wirst keine Brüder und Schwestern bekommen – und ich werde eine Möglichkeit finden, dich stark zu machen. Stärker als deine Mutter. Stärker als mich . Also weine jetzt zum letzten Mal.«
    Er wandte sich zur Tür.
    »Wohin gehst du, Vater?«
    »Ich hole eine Schaufel.« Er öffnete die Tür, trat hindurch und schlug sie hinter sich zu.
    Der Junge blickte auf den Säugling. Vater hatte recht – das Baby sah nicht wie etwas aus, das auf die Welt gehörte. Es erinnerte ihn an ein Vogeljunges, das ohne Flügel geboren worden war, ein trauriges, sinnloses Wesen, das nirgendwo einen Platz hatte. Er sah zu seiner Mutter.
    »Vergiss mich nicht, Ma«, sagte er. »Bitte nicht.«
    Zum letzten Mal begann er zu weinen.
    Geiger schlug die Augen auf. In seinem Atem war, wie er über die Maserung seines Herzschlags strich, ein leichtes, weiches Zittern, und darin wiederum lag Schmerz. Er war Student und Meister des Schmerzes, doch diese Empfindung kannte er nicht. Sie war kein Produkt der Gewalt, der grausamen Taten, der dunkelsten menschlichen Absichten. Sie stammte nicht von Fleisch und Nervenenden und Muskeln und Gelenken. Sie war eine Offenbarung.
    Christine schlief, an ihn geschmiegt, einen Arm über seiner Brust.
    Er blickte zur Uhr auf dem Nachttisch. 8.40 Uhr. Er hatte über fünf Stunden geschlafen. Noch nie hatte er so lange geschlafen. Er wischte seine Tränen ab – und dann klopfte er Christine leicht auf den Arm. Ein Auge öffnete sich verschlafen, musterte ihn matt, dann setzte das Bewusstsein ein – das Bewusstsein seiner Identität und ihrer Position und der bedrohlichen Schräglage der Welt. Sie drehte sich auf den Rücken, und gemeinsam betrachteten sie die Zimmerdecke.
    »Ich habe eine Frage«, sagte er.
    »Ja?«
    »Ist sie die ganze Zeit da?«
    Die Frage ließ sich in ihr nieder wie ein Schoßhund und wartete auf Antwort. Sie brauchte nicht um Klarstellung zu bitten. Sie wusste, was er mit »sie« meinte.
    »Ja, sie ist immer da.«
    »Was machen Sie mit ihr?«, fragte er.
    »Ich halte sie auf Armeslänge in Abstand. So nahe, dass ich sie aus dem Augenwinkel sehe – aber weit genug weg, dass sie sich nicht an mich anschleichen kann.« Sie drehte sich ihm zu. »Aber Sie tun das nicht. Sie tun etwas anderes.«
    Er wandte sich zu ihr um. Sie waren einander so nahe, dass er einige winzige haselnussbraune Sprenkel im Blau ihrer Augen sehen konnte.
    »Ich … ergebe mich ihr«, sagte er. »Ich lasse mich davon erfüllen.«
    »Und dann gibt es keinen Platz für irgendetwas anderes.«    
    Plötzlich wurde sie sich ihres Körpers sehr deutlich bewusst – wie sie auf der Matratze ruhte, die Seidenbluse auf ihrer Haut, die Beharrlichkeit ihres Pulsschlags …
    Sie wollte etwas von ihm – wollte sich loslassen und etwas von ihm nehmen . Fleisch, Berührung, Atem, Bewegung …
    »Ich muss bald aufbrechen. Ich liege hinter dem Zeitplan.«
    Sie setzte sich auf und fuhr sich mit den Händen durch ihr Haar. »Ja«, sagte sie und zog ihre Bluse straff. »Ich mache Kaffee.«
    »Schwarz.«
    »Zucker?«
    »Nein.«
    Geiger blickte ihr nach. Sie ging wie jemand, der zu spät zu einer Verabredung kommt. Seine rechte Seite, auf der sie neben ihm gelegen hatte, war noch warm. Ehe er aufbrach, würde er seine Schulter in frisches Eis packen. Er hatte keinen Grund, zum Hotel zurückzukehren.
    »Sind Sie hungrig?«, rief

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