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Der Experte: Thriller (German Edition)

Der Experte: Thriller (German Edition)

Titel: Der Experte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Allen Smith
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vermissen, Mutter, schrecklich vermissen«, sagte er, »aber du sollst verdammt sein für deine Schwäche. Du hast mir eine elende Aufgabe hinterlassen, die ich für dich zu Ende führen muss.« Er zog ein Jagdmesser aus der Scheide, die an seinem Werkzeuggürtel hing, und ergriff das Laken. »Geh weg, Junge – und sieh weg.«
    Der Junge wandte sich ab und fand eine kleine, einsame Wolke hinter den Bäumen, die er beobachten konnte. Sie kroch über den Himmel, strebte nach Osten, dem Gipfel des Berges zu, wie ein Lamm, das nach der Herde sucht. Geräusche erfüllten den Raum, und er wurde in eine eigenartige Mischung getaucht – die hellen Streicher, unterstrichen von dem angestrengten Schnaufen seines Vaters und dem weichen Quatschen von Fleisch, das geschliffenem Stahl nachgab. Er kannte das Geräusch, denn er hatte seinem Vater schon oft zugesehen, wenn er einen Hirsch ausweidete. Dann klapperte das Messer auf den Boden, und er blickte hin. Das Sonnenlicht strahlte hellrot auf der breiten Klinge – und er wusste, wem das Blut gehörte.
    Ein bärenhafter, aber gedämpfter Laut entwand sich seinem Vater, und ein primitiver Trieb – Schock, Trauer oder Wut – steigerte ihn zu einem helleren Ton, dann verebbte er langsam und erstarb. Dabei wurde ein anderes Geräusch hörbar, das vorher darin untergegangen war, eine leise Regung. Zuerst glaubte der Junge, es wären Blätter, die durch einen plötzlichen Wind aneinanderstrichen, doch das Geräusch entstand im gleichen Raum wie sie.
    »Ist es das Baby?«, fragte er.
    In kurzen, abgehackten Stoßen drang der Atem seinem Vater aus den Nasenlöchern. »Hol zwei Handtücher.«
    »Es lebt doch, oder?«
    »Tu gefälligst, was ich dir sage!«
    Die niederschmetternde Gewalt des Befehls warf Geiger beinahe ins Bewusstsein zurück – aber sein Geist weigerte sich, die Vision aufzugeben. Er würde sie nicht verlassen. Er würde bis zum Ende dabeibleiben …
    Der Junge rannte zu einem hohen Schrank, riss die Türen auf und zog von einem Regalbrett zwei Handtücher. Als er zurückeilte, drehte sein Vater sich um und versperrte ihm die Sicht auf die Leiche. Er streckte eine blutige Hand vor. Tropfen bildeten sich an den stumpfen Kanten der Fingernägel. Wie kleine, rubinrote Beeren hingen sie einen Augenblick dort, dann gaben sie der Schwerkraft nach und fielen hinunter.
    »Gib sie her. Komm nicht näher.« Er nahm die Handtücher und setzte sein Werk fort.
    Der Junge beobachtete, wie seine Arme sich im Einklang mit den Muskeln auf dem breiten Rücken bewegten, wie Kolben in einem Motor, der eine grimmige Pflicht zu erfüllen hat. In der Brust des Jungen wuchs etwas, Ranken schlugen aus, wanden sich um sein Herz.
    Der Vater drehte sich um. Er hielt das gewickelte Neugeborene. Der Junge konnte den Säugling nicht sehen, doch aus den Handtüchern drang ein feuchtes, unregelmäßiges Schnaufen.
    »Es lebt also«, sagte der Junge.
    »Es wird nicht lange leben, Sohn.«
    »Wieso?«
    »Weil es ihm nicht bestimmt ist.«
    »Darf ich es halten?«
    »Nur kurz. Setz dich.«
    Der Junge setzte sich auf den Stuhl neben der Pritsche.
    »Halte deine Arme so.« Sein Vater zeigte ihm, wie man ein Kind wiegt. Der Junge gehorchte, und der Vater legte ihm das Bündel hinein. Dann ging er an den Herd, entfachte ein Streichholz und zündete sich eine Zigarette an.
    Den Jungen überraschte, wie leicht das war, was er hielt. Ein schwaches Murmeln entwich aus der schmalen Öffnung in den Handtüchern, und er weitete sie vorsichtig mit einem Finger.
    Es war das kleinste Lebewesen, das er je gesehen hatte, und das älteste – runzlig und aschgrau und zugleich irgendwie unvollendet. Seine einzige Bewegung bestand in dem langsamen, stotternden Heben und Senken seiner Brust. Die Augen waren geschlossen. Der Junge fragte sich, ob sie sich jemals öffnen würden.
    »Es ist krank.«
    Sein Vater sprach hinter einem dichten Rauchschleier. »Es stirbt.«
    »Aber … es ist gerade erst geboren.« Etwas ergriff Besitz von ihm, über jedes Begreifen hinaus, ein Bewusstsein, dass es einen großen Geist gab, der noch mächtiger war als sein Vater und imstande, schreckliche Dinge allein dadurch geschehen zu lassen, dass er sie beschloss, ohne seine Gründe jemals bekannt zu geben.
    Er schob dem Säugling die Spitze seines Zeigefingers in die Hand, und die unfassbar winzigen Finger schlossen sich langsam darum. Seine Mutter hatte ihn oft gefragt, ob ihm ein Brüderchen oder ein Schwesterchen lieber sei. Er hatte

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