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Der Experte: Thriller (German Edition)

Der Experte: Thriller (German Edition)

Titel: Der Experte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Allen Smith
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sie.
    »Nein.«
    Mit der Hand wischte er den Dampfbeschlag vom Spiegel. Er hatte lange unter der heißen Dusche gestanden, also würde der Bart weich und nachgiebig sein.
    Fünf Uhr morgens am 3. Juli: der Zeitpunkt seiner letzten Rasur. Fast auf den Tag genau zehn Monate lag es zurück, dass er die Zügel seines Lebens fest in der Hand gehalten hatte, taub für die Echos aus der Vergangenheit, taub für die Sünden der Gegenwart, als die Wälle zwischen Innerem und Äußerem standhaft und ohne Riss gewesen waren … als es noch keinen Ezra gegeben hatte, keinen Verrat und keine Enthüllungen … keine von Rache getriebenen Feldzüge … keine Leiche mit toten Augen in einem verrammelten Laden … keine Regungen, keinen Vater und keine Mutter, die inmitten dahinrasender Erinnerungen ihre Ansprüche erklärten … kein taufrisches Gefühl unerträglichen Unrechts, das wiedergutgemacht werden wollte …
    Carmines Worte kamen ihm wieder in den Sinn: Man gehört dem Leben – vom ersten Tag an, von der Wiege bis zum Grab. Sie kapieren es nicht. Sie glauben, Sie könnten sich aussuchen, ob Sie drin sind oder nicht, aber da irren Sie sich!
    Er hob den Rasierer, den er im Spiegelschrank gefunden hatte – einen Wegwerfartikel aus Plastik in einer Schachtel mit zehn Stück –, setzte ihn an seiner eingeseiften Wange an und zog die Klinge in zentimeterlangem Streichen herunter. Langsam legte er sein Gesicht frei. Für Tarnung gleich welcher Art bestand keine Notwendigkeit mehr.
    Vor dem Esszimmerfenster wies der verschämte Schimmer des Himmels darauf hin, dass der Regen weitergezogen war und nicht zurückkam. Christine stellte Geiger seinen Kaffee in einer blauen Keramikschale hin – die er anstarrte, bis Christine sich mit der ihren vor ihn setzte, sie mit beiden Händen nahm und an die Lippen führte.
    »Beide Hände«, sagte sie. »Sind Sie in Frankreich …«
    Er kopierte sie und trank. Sie suchte in seinem frisch enthüllten Gesicht nach einem Zeichen für Annehmlichkeit oder Zufriedenheit, doch seine Züge gaben keinerlei Hinweis darauf.
    »Fühlt es sich gut an ohne Bart?«
    »Sauberer. Leichter.«
    Christine senkte ihre Kaffeeschale. »Kann ich Ihnen eine Frage stellen?«
    »Ja.«
    »Unter der Oberfläche, innen drin … Empfinden Sie unterschiedliche Dinge – zu unterschiedlichen Zeiten?«
    Geiger blies sanft auf den Kaffee, und der Dampf ringelte sich. »Christine, ich habe über mich nichts zu erzählen.« Er trank wieder einen Schluck. »Ich will Ihnen etwas erzählen, das Harry einmal sagte. Ich habe zufällig mitgehört, wie er mit einem Klienten sprach. Der Mann fragte, was für ein Mensch ich sei – und Harry erwiderte, dass es Zeitverschwendung sei, mich beschreiben zu wollen. Er sagte: ›Geiger ist wie ein Spiegel. Was Sie sehen, ist nicht das, was ich sehe – oder was irgendjemand anderes sieht.‹«
    Christine legte die Hände auf den Tisch und faltete sie, wie jemand es vor dem Gebet tut.
    »Sehen Sie sich selbst so?«
    »Das ist der Punkt, Christine«, sagte er. »Ich sehe mich nicht.« Er trank einen großen Schluck Kaffee und stellte die Schale ab. »Darf ich Ihre Messer sehen?«
    »Meine Messer?«
    »Ihre Küchenmesser.«
    Christines Lippen öffneten sich. Ihre Küchenmesser. Die Beinahegewichtslosigkeit der Wörter besaß die Kraft eines Schlages ins Gesicht.
    »Sie liegen auf der Arbeitsplatte, neben dem Herd.«
    Geiger stand auf und ging in die Küche.
    Sie drehte ihre Schale langsam in den Fingern. Die Bilder, die sie sah, waren schrecklich. Bis jetzt hatte sie alles von sich ferngehalten – doch da sich die Dinge zuspitzten, konnte sie es nicht mehr beiseiteschieben. Ein schneller Strom von Bildern, brutal, blutig, grausam, verschiedene Varianten von Leid und Gewalt in irgendeinem Bauernhaus in einer Kleinstadt.
    Geiger kehrte zurück und legte ein Messer auf den Tisch – ein kurzes Tranchiermesser mit einem Birkengriff. Bei seinem Anblick straffte Christine das Rückgrat.
    »Himmel … Das werden Sie … benutzen? «
    Geiger sah sie nur kurz an – dann nahm er eine Rolle Klebeband aus seiner Tasche und setzte sich wieder.
    »Ich konzentriere mich auf das, was getan werden muss, Christine. In dieser Hinsicht gleichen Harry und ich uns sehr. Detailversessen nennt er es.«
    Er begann den Griff zu umwickeln. Mit jeder präzisen Windung wurde die Bandschicht dicker und an beiden Enden erhaben, sodass sich die Hand mühelos und sicher in die Mitte senken konnte.

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