Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Experte: Thriller (German Edition)

Der Experte: Thriller (German Edition)

Titel: Der Experte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Allen Smith
Vom Netzwerk:
Feuer. Geiger beobachtete, wie Zannis anmutige Gestalt zwischen den Bäumen verschwand.
    »Sie machen das schon lange, Victor.«
    Victors Lächeln erinnerte an einen Trauergast, der mit Wärme von dem Dahingeschiedenen sprach. »Zu lange, finde ich manchmal – aber dann bietet mir jemand einen neuen Auftrag an.« Er zuckte mit den Schultern. »Wir tun, was wir gelernt haben, nicht wahr?«
    Geiger sog den Rauch tief ein. »Kennen Sie Dalton? Haben Sie schon einmal eine Lieferung für einen Auftrag durchgeführt, an dem er arbeitete?«
    »Nein. Aber man hört natürlich von ihm … und von Ihnen. Den Inquisitor nennt man Sie, ja? Zanni hat mir gesagt, was er mit Ihnen angestellt hat – und Sie mit ihm. Ich muss schon sagen, Geiger, was Sie tun, ist unglaublich tapfer. Wie viele Männer würden die gleiche Wahl treffen? Ich weiß es nicht.«
    »Wahl ist da kein Wort, das ich benutzen würde, Victor.«
    »Nicht?« Victor musterte Geiger offen und mit eindeutig aufrichtigem Interesse. »Ich hätte nicht gedacht, dass der Inquisitor aus Sentimentalität handelt.«
    »Ich bin im Ruhestand.«
    Geiger zog wieder an der Zigarette. Jedes Mal, wenn er die Hand an die Lippen hob, spürte er einen sehr leichten Zug von den beiden fünfzehn Zentimeter langen waagerechten Klebebandstreifen auf seiner Brust, die Christines Messer in der Vertiefung des Brustbeins zwischen den Brustmuskeln hielt. Am Morgen hatte er einen weiten Pullover übergezogen, damit sich der modifizierte Griff nicht abhob.
    Victor warf die Zigarettenkippe weg und drückte sie mit dem Fuß in die Kiefernadeln. »Darf Sie ich etwas fragen? Wieso haben Sie Dalton die Finger zermalmt?«
    »Ich hatte entschieden, dass er ebenfalls in den Ruhestand gehen sollte.«
    Victor blickte zu ihm hoch. In Geigers Gesicht war keine Spur von Antipathie oder Ironie zu finden. In seiner Stimme auch nicht.
    »Nun«, sagte Victor, »anscheinend ist er – wie nennen Sie es? – wieder im Geschäft.«
    Die Ruhe der Umgebung grenzte an Stille. Über den Himmel zog eine kleine Gruppe aus dünnen Wolken. Die Sonne wirkte blass und erschöpft, das Ende ihrer Schicht kam näher, und hoch oben stand ein gespenstischer Mond. Am Nachthimmel würde er zu einem hellen, großen Golfball werden.
    Zanni konnte von hier aus die Rückseite des Hauses deutlich sehen. Drei Fenster mit geschlossenen Vorhängen, zwei weitere waren vernagelt. Eine Hintertür und ein Vordach, unter dem ein kleiner grauer Peugeot parkte. Der kleine Schuppen bestand aus Wellblech.
    Sie senkte das Fernglas und lehnte sich an einen Baum. In ihrem Kopf ging es zu wie in einem Bienenstock. Tausend Gedanken summten hin und her, es war ein ständiges Kommen und Gehen.
    Dewey war tot.
    Todesursache: Geiger.
    Sie wartete darauf, dass etwas Urtümliches in ihr aufbrach, doch sie empfand nur eine leise, benommene Melancholie. Gewiss, sie hatten lange Zeit nur sehr wenig miteinander geteilt, und was sie verbunden hatte, war keineswegs Geschwisterliebe gewesen, sondern ein Bedürfnis auf Deweys Seite und auf ihrer ein merkwürdiges Pflichtgefühl, das zu verstehen sie sich nie die Zeit genommen hatte. Dennoch, er war ihr Bruder gewesen. Sollte sie nicht mehr empfinden? War sie so geübt darin, ihre Gefühle zu unterdrücken, dass sie überhaupt nichts mehr spürte? Keine kalte Welle der Trauer? Keinen Stich der Empörung?
    Und was war mit Vergeltung?
    Was hatte Geiger ihrem Bruder angetan, ehe er ihn tötete? Die Frage rief flackernde Bilder wach, die den Inquisitor bei der Ausübung seiner dunklen Kunst zeigten. Zanni kniff die Augen zu und wischte die Vorstellungen beiseite. Das musste warten. Sie wusste, worauf sie ihr Augenmerk legen musste.
    Als ihr Handy im Hotelzimmer geklingelt und sie Geigers Stimme gehört hatte, war ein kühler Schwall wiedererlangter Kontrolle in ihr aufgestiegen, das Gefühl, dass verlegte Gegenstände wieder dorthin kamen, wohin sie gehörten. Doch Geiger hatte die harten, präzisen Winkel des Szenarios biegsam und unvorhersehbar gemacht. Jetzt musste sie rasch eine Entscheidung fällen, denn die Zeit war zu einem instabilen Element geworden und stand kurz davor, die kritische Masse zu erreichen – ebenso wie Victor.
    Sie waren tiefer in den Kiefernwald gegangen, in die Deckung der Bäume, und befanden sich nun wieder auf der Höhe des Bauernhauses.
    »Die beiden Fenster hinten, die vernagelt sind … Sehr gut möglich, dass er sie dort gefangen hält«, sagte Zannie. Sie prüfte ihr Vorankommen

Weitere Kostenlose Bücher