Der Experte: Thriller (German Edition)
hing und sich leicht in einem Sphärenwind bewegte.
Er sah Dalton über sich ragen. Die Deckenlampen in Geigers Sitzungsraum überzogen die Brillengläser des Folterers mit winzigen Sternen. Die funkelnde Pracht wirkte merkwürdig in Verbindung mit seinem nüchternen Aussehen. Er beugte sich zu Geiger herab, der an den Rasierstuhl gefesselt war.
»Ich halte mich nicht mit irgendwelchen Psychospielchen auf – nicht dass Psychospielchen meine Stärke wären oder dass Sie bei Ihnen wirken würden. Nein, ich gehe direkt zum Schmerz über. Darin bin ich, bei aller Bescheidenheit, ein Meister – Schmerz ist mein Beruf.«
… doch Geiger wusste, dass keiner von ihnen noch derselbe war.
Er spürte die Veränderung an sich selbst, aber so, wie ein Kind plötzlich merkt, dass es nicht mehr so ist wie noch am Tag zuvor. Die Wies und Warums spielten miteinander Fangen. Sie würden sich offenbaren, aber jetzt noch nicht. Wahrhaft begriff Geiger nur, dass er nicht mehr derselbe war – die Auferstehung in der Vergangenheit und die endlose Taufe, die es bedeutete, auf der Welt zu sein, hatten ihn voller gemacht, dichter.
Wer also wäre der Geiger, der sich mit Dalton zusammensetzte, um jenen finsteren Vertrag zu erfüllen?
Zanni ging zur Rückseite des Hauses und setzte sich an die Mauer. Sie atmete dreimal langsam durch, legte zwei Fingerspitzen ans Handgelenk, blickte zwanzig Sekunden lang auf die Uhr und nahm die Multiplikation vor. Zweiundsiebzig. Ihr Ruhepuls betrug sechzig. Nicht schlecht, alles in allem.
Sie kamen nun zur letzten Runde – und sie fühlte sich, als hätte sie den letzten Anstoß erhalten. Sie würde nicht einmal einen raschen Blick zurückwerfen. Sie würde stark ins Ziel gehen. Mit dem, was sie hinter sich zurückließ, würde sie sich später befassen.
Bowe saß an seinem Schreibtisch und las auf dem Laptop einen Bericht der BBC Online News über einen Straßenprotest in Riad. Er machte stets Überstunden. Normalerweise bekam er zwischen neun und Mitternacht mehr erledigt als in den zwölf Stunden davor.
Er nahm seinen Starbucks-Kaffee und drehte sich mit dem Stuhl, starrte aus dem Fenster auf das Washington Monument. Er wusste, dass es abgeschmackt war, doch selbst nach den vielen Jahren erzeugte der Anblick des nächtlich beleuchteten Monuments in ihm noch immer ein Hochgefühl.
Seine Assistentin kam ins Büro. »Sir …«
Bowe drehte sich zu ihr um. »Was machen Sie denn noch hier, Marie? Es ist spät. Gehen Sie nach Hause.«
»Wir haben noch Schwierigkeiten mit dem neuen Mailsystem, Sir.« Sie kam an den Schreibtisch und legte einen großen braunen Umschlag darauf ab.
»Das kam vor kurzem über die verschlüsselte Leitung aus New York«, sagte sie, trat zurück und verschränkte die Hände an der Taille ihres dunkelblauen Kostüms.
Bowe öffnete den Umschlag. Zwei Blatt Kopierpapier lagen darin. Er zog eins davon heraus und las. Seine linke Braue hob sich, erreichte den höchsten Punkt und verharrte dort.
»Ist Mac noch da?«, fragte er, ohne aufzublicken.
»Ich sehe nach, Sir.«
»Falls er nicht mehr da ist, muss er zurückkommen – sofort.«
Bowes Assistentin arbeitete seit neun Jahren für ihn, und während dieser Zeit hatte sie ein Erkennungs- und Ablagesystem für die Tonfälle seiner Stimme entwickelt. Obwohl die Unterschiede oft nur Nuancen waren – routinemäßig, konzentriert, leidenschaftlich, frustriert, wütend, vor der Kernschmelze –, lag sie fast immer richtig mit ihrer Einschätzung. Doch in diesem Moment versagte sie bei dem Versuch, seine Gemütslage einzuordnen.
»Jawohl, Sir«, sagte sie und ging hinaus.
Bowe schob das erste Blatt beiseite, zog das zweite heran und las weiter. Drei waagerechte Falten gruben sich in seine Stirn. Die Tür ging auf, und McCormack trat zwei Schritte herein und blieb dann wie üblich stehen.
»Sie wollten mich sprechen, Sir?«
Bowe tippte mit einem Finger auf den Tisch. »Lesen.«
McCormack versteifte sich innerlich. Einwortbefehle von Bowe waren nie ein gutes Zeichen. Er trat an den Schreibtisch, und Bowe drehte das erste Blatt herum. McCormack beugte sich darüber, und als seine Augen die Zeilen des Ausdrucks überflogen, neigte er den Kopf zur Seite, als hätte er geglaubt, ein merkwürdiges Geräusch aus großer Ferne zu hören.
Von: Felson/NY
An: Bow/NUR FÜR DEEP RED
Heute, 4. 4. 12 – 11.06 Uhr, traf NINA WAYLAND, DAVID MATHESONS Exfrau, mit ihrem gemeinsamen Sohn EZRA ein und brachte angehängten Brief
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