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Der Experte: Thriller (German Edition)

Der Experte: Thriller (German Edition)

Titel: Der Experte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Allen Smith
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die Gleise. Zanni beschloss zu warten, bis es vorbei war. Dadurch erhielt sie einen Augenblick Zeit, um die Lage neu zu sondieren. In der persönlichen Begegnung wirkte er noch eindrucksvoller. Seine seidige Stimme, der unbetonte Fluss der Wörter, seine Reglosigkeit selbst in Bewegung und eine Ruhe, die zu beobachten paradoxerweise aufregend war. Sie starrten einander ausdruckslos an, bis sich der Zug entfernt hatte und die Straße unter ihren Füßen nicht mehr vibrierte.
    »Herr Geiger, wenn Sie …«
    »Sie müssen aufhören zu reden.« Geiger drehte den Kopf, bis es im Nacken knackte. »Sie agieren auf der Basis eines Szenarios, das auf Analogieschlüssen beruht. Es setzt voraus, dass ich mich so verhalte, wie die meisten Menschen sich in einer derartigen Situation verhalten würden. Wenn ich nein sage, erhöhen Sie das finanzielle Angebot. Sie werden den Einsatz patriotischer Appelle, den Hinweis auf edle Ziele erwägen. Sie werden außerdem Drohungen und Erpressung in Betracht ziehen.« Er drehte den Kopf wieder nach rechts. Knack. »Doch aus unterschiedlichen Gründen entspreche ich nicht dem Mehrheitsprofil und bin darum für das Szenario irrelevant. Das ist es, was Sie begreifen müssen.«
    Von Osten näherte sich unter den Schienen ein Bus. Der Fahrer hupte dreimal, und sie räumten die Fahrbahn. Zanni folgte Geiger, bis er neben einem breiten Stahlträger stehen blieb.
    »Relevant ist nur«, sagte er, »dass ich nicht mehr auf dem Gebiet des Informationsabrufs arbeite. Das müssen Sie Ihren Vorgesetzten mitteilen, und sagen Sie ihnen auch, dass nichts daran etwas ändern wird.«
    Zanni betrachtete seine tiefgründigen Augen. Sie suchte nach etwas hinter dem starren Blick, doch entweder war er ein Meister der Verschleierung oder innerlich leer. Trotzdem blieb die Tatsache, dass er letzten Sommer vom Weg abgekommen war. Drei Profis hatten bei dem Versuch, ihn kaltzustellen, ihr Leben verloren. Dalton war zum Verhör hinzugezogen worden und war nun verkrüppelt. Und Zanni wurde plötzlich gewahr, wie wenig Verkehr es zu dieser Nachtstunde in Gravesend gab und dass Geiger sie durch Zufall oder mit Absicht in den tiefen schwarzen Schatten eines breiten Stahlträgers gelockt hatte.
    »Wenn Sie wieder in Ihrem Büro sind, Frau Soames, dann rufen Sie meine Akte auf. Sicherlich gibt es eine Spalte für ›Status‹. Löschen Sie, was immer dort steht, und setzen Sie ›auf Dauer unverfügbar‹ ein.«
    Geiger beugte sich dichter zu ihr vor. Zanni hielt stand, doch sie war nicht glücklich darüber, wie viel Konzentration es sie kostete, ihren Adrenalinspiegel unten zu halten.
    »Rosanna, ich bin mir sicher, dass Sie Ihre Hausaufgaben gemacht haben und über mich wissen, was es zu wissen gibt. Sie wissen, dass man Hall und zwei andere auf mich angesetzt hat, und dass sie alle tot sind. Und Sie haben sich gefragt, wieso das so ist.«
    Zanni bekam das ungute Gefühl, er sei ihr in jeder Hinsicht – Aktion, Gefühl, Gedanke – einen Schritt voraus, und das machte sie wütend.
    »Ich will nicht noch einmal gefragt werden. Ich will diese Sache nicht auf die nächste Stufe bringen. Haben Sie das verstanden, Rosanna?«
    »Ich habe es verstanden«, sagte sie.
    Geiger hob seitlich die Hände, und Zanni verspannte sich unwillkürlich; Ausbildung, Instinkt und Adrenalin setzten gleichzeitig ein. Dann sah sie, wie seine Finger seine Ohrstöpsel suchten, fanden und wieder einsetzten. Er hob fast unmerklich die rechte Augenbraue, gerade hoch genug, um ihr zu zeigen, dass er sie durchschaut hatte – von ihrem gespielten Gleichmut bis zu dem Moment, in dem sie Angst bekam. Zanni unterdrückte eine hitzige Aufwallung. Sie mochte es nicht, wenn man in ihr las. Was hatte sie verraten? Ein Aufflackern ihrer Augen? Ein Beben ihrer Nasenlöcher? Ein Zucken ihrer Lippen?
    »Leben Sie wohl«, sagte Geiger. Er entfernte sich in langsamem Joggingtempo.
    Zanni musterte die eigentümliche Anmut, die dadurch entstand, dass er seine Haltung ständig aufgrund von Schädigungen und Schwerkraft korrigieren musste. Sie wusste, was Dalton ihm angetan hatte; sie hatte gehört, wie er es mit seinen eigenen Worten ausdrückte, und ein Zitat hatte sich ihr eingeprägt: Nicht, dass er keinen Schmerz empfand. Den Schmerz hat er gespürt. Ich glaube nur nicht, dass es ihm wehtat.
    Geiger lehnte sich an das Geländer am Weg, die Hände um das kalte Stahlrohr geschlossen. Eine Million Regentropfen übersäten die Wasserfläche von Gravesend Bay mit

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