Der Experte: Thriller (German Edition)
Ezra. Das weiß ich.«
»Na ja … Geiger – er ist verletzt, und er hat mich gebeten, Sie anzurufen. Er hat kein eigenes Handy. Er hat mich gebeten, Sie anzurufen und Sie zu bitten, ihm zu helfen … dass Sie kommen und ihm helfen. Ich kenne Geiger, Ms. Reynaud, und ich weiß, dass er absolut niemanden um Hilfe bitten würde, ohne dass es ihm sehr dreckig geht.«
Der Kater sprang auf den Schreibtisch und legte sich neben die Tastatur. Die Gliedmaßen aufs Maximum ausgestreckt, erwartete er, gestreichelt zu werden.
»Ezra …«
»Ja?«
»Ich muss es dich fragen … Woher kennst du Geiger und Harry?«
Der Blick des Jungen ging zum iPad – zu dem Schweigen und dem Bild der Betondecke.
»Sie haben mir das Leben gerettet, Ms. Reynaud.«
Er hörte sie schwer atmen, während sie versuchte, die bizarren Bruchstücke zu etwas Verständlichem zusammenzufügen.
»Wo ist er?«, fragte sie.
»Er ist in der Rue Questel Nummer drei eins fünf. Q-U-E-S-T-E-L. In einem vernagelten Geschäft. Sie kommen durch die Hintertür hinein.«
»Was noch?«
»Das ist alles.« Er schöpfte Atem und stieß ihn wieder aus. »Ich weiß, dass Sie ihn kaum kennen, Ms. Reynaud …« Bei dem letzten Wort nahm seine Stimme eine schrille Tonlage an, und er wischte sich eine plötzliche Träne ab. »Er ist wirklich ein merkwürdiger Kerl, aber ein guter Mensch.«
»Schon gut, Ezra. Ich verstehe.«
»Was soll ich ihm sagen?«
»Sag ihm, dass ich unterwegs bin.«
Ezra sprang von seinem Sessel wie ein Kastenteufel. »Danke … danke … danke! «
»Ich lege jetzt auf, Ezra. Okay?«
»Ja, Ma’am. Okay. Danke.«
Er beugte sich zum iPad-Schirm vor. »Geiger … sie kommt. Hörst du mich? Sie ist unterwegs. Geiger? Kannst du mich verstehen?«
Er sank wieder in den Sessel zurück. Das Einzige, was er hörte, war das aberwitzig laute Schnurren des Katers. Er nahm das Tier hoch, legte es sich über die Schultern und wartete.
Christine hatte noch nie von der Straße gehört, daher suchte sie auf Google Maps nach ihr. Sie hatte gerade auf der Couch gelegen und war gerade in einen unruhigen Halbschlaf gesunken, als das Telefon klingelte. Sofort hatte sie mit einer merkwürdigen, beunruhigenden Sicherheit gewusst, dass der Anrufer sie noch tiefer in die Haarnadelkurve hineinziehen würde, in die ihr Leben geraten war.
Nachdem sie aufgelegt hatte, war ihr sofort klar gewesen, dass sie keinen Augenblick lang eine Wahl gehabt hatte. Sie hatte nicht überlegt, ob sie das Richtige tue, sie hatte keine Entscheidung gefällt. Ihr anfänglicher intensiver Wunsch, den Jungen abzuweisen, war der beste Beweis, dass ihr Entschluss bereits festgestanden hatte.
Sie stand auf, nahm ihre Autoschlüssel vom Couchtisch und ging zur Tür. Sobald sie hinter dem Lenkrad saß und den Zündschlüssel umgedreht hatte, konnte sie sich zurücklehnen und die Hände in den Schoß legen und würde ohne eigenes Dazutun an der 315 Rue Questel ankommen – weil ein anderer das Fahren übernahm.
22
Geistig lodert er – eine in Flammen stehende Hütte, und er mitten im Inferno. Keine Musik, die er hören oder sehen oder schmecken konnte, um Kraft aus ihr zu ziehen, nur die brausenden Flammen und überall ringsum knisterndes und knackendes Holz. Und die sengende Hitze. Schließlich hatte er sich hingelegt und zu einem Ball im Zentrum der Feuersbrunst zusammengerollt. Nun wartete er auf irgendein Ende. Er hatte Schmerzen, aber keine Angst, denn er fürchtete sich nicht vor diesem verwandten Geist.
Als er endlich spürte, wie die Luft abkühlte und Stille sich ausbreitete, rührte er sich und sah hoch. Das Feuer hatte sein Schlemmermahl beendet – sein Appetit war ihm zum Verhängnis geworden. Die Flammen waren, von einigen verwaisten Funken und Glutaugen abgesehen, verschwunden, und die verkohlten Wände brachen ein und stürzten als geschwärzter Schutt zu Boden. Aber jemand war bei ihm – so deutlich nahe wie unsichtbar …
»Geiger«, sagte sie.
Er war oft genug in das schwarze Loch gestiegen und wusste, dass auf der anderen Seite eine kleine Weile lang alles mit Siebenachtelgeschwindigkeit geschah, sobald er dort hervorkam.
»Geiger …«
Er schlug die Augen auf. Sie kniete neben ihm. Sie hatte ihn beobachtet, und ihr Gesicht zeigte einen Widerstreit der Gefühle: Angst, Verwirrung, Sorge, Misstrauen …
»Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte er, als wäre er der Chefpsychiater, der die Verwandte eines Insassen im Irrenhaus empfängt.
Seit
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